Trotz politischer und gesellschaftlicher Spannungen ist die ökonomische Entwicklung der Türkei positiver als erwartet.
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Ankara/Wien. Politische Turbulenzen hin oder her - auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes muss dies nicht unbedingt durchschlagen. Das gilt zumindest für die Türkei. Nach dem gescheiterten Putschversuch vor knapp einem Jahr, nach Massenentlassungen und -verhaftungen, nach einem polarisierenden Verfassungsreferendum vor wenigen Monaten ist das Land politisch und gesellschaftlich tief gespalten. Groß war daher die Sorge in Wirtschaftskreisen, dass sich dies auch auf die ökonomische Lage auswirkt. Tatsächlich gab es Einbrüche in den Finanzmärkten und ist die türkische Wirtschaft kurzfristig geschrumpft, zum ersten Mal seit Jahren.
Doch das Vertrauen der Konsumenten und Investoren scheint wieder zu wachsen - und die Talsohle damit überschritten. Für heuer wird ein Wachstum von rund drei Prozent prognostiziert; allein im ersten Quartal des Jahres waren es sogar fünf Prozent. Die Staatsfinanzen sind solide: Mit etwas mehr als einem Prozent Budgetdefizit und einer Staatsverschuldung von knapp 30 Prozent würde die EU-Beitrittskandidatin mit Leichtigkeit jene EU-Kriterien erfüllen, die so manchem Mitgliedsland regelmäßig Schwierigkeiten bereiten.
Damit entwickle sich die Wirtschaft der Türkei keineswegs so schlecht wie noch vor einiger Zeit erwartet, resümiert Georg Karabaczek, österreichischer Wirtschaftsdelegierter in dem Land. "Nach dem Referendum sind Konsumenten und Unternehmen wieder optimistischer geworden", sagte er in einem Gespräch mit Journalisten. Es ist denn auch der private Konsum, der mit der Industrie - vor allem der Baubranche - als Haupttreiber des Wachstums gilt. Hinzu kommen Investitionen im öffentlichen Bereich: Die Staatsausgaben seien um rund zehn Prozent gestiegen.
Gleichzeitig verweist Karabaczek auf Probleme, die nicht in kurzer Zeit zu beheben sind. So habe der Tourismussektor stark gelitten. Nach türkisch-russischen Auseinandersetzungen blieben zunächst die russischen Touristen aus; nach etlichen Terroranschlägen in mehreren Städten ging auch die Zahl der Gäste aus Westeuropa zurück. Das Minus betrug im Vorjahr immerhin an die 30 Prozent. Besonders der Kreuzfahrt- und Kongressbereich dürfte noch Jahre leiden.
Einen Rückgang gab es ebenfalls bei den ausländischen Direktinvestitionen - auf zwölf Milliarden US-Dollar. Und die Leistungsbilanz ist chronisch defizitär: Seit Jahren importiert das Land wesentlich mehr, als es exportiert. Kontinuierlich ist auch die Abwertung der türkischen Lira. Einen Tiefpunkt erreichte der Wechselkurs im Jänner: 4,0 gegenüber dem Euro, während der Wert ein Jahr davor bei etwas mehr als drei gelegen hatte.
Hohe Arbeitslosigkeit
Eine der größten Herausforderungen ist aber die Senkung der Arbeitslosenquote. Jeder zehnte Türke hat keinen Job, unter den Jugendlichen sind sogar fast ein Viertel arbeitslos.
Dies zu ändern liegt auch im politischen Interesse der konservativen AKP-Regierung und des Staatspräsidenten, Recep Tayyip Erdogan. Dessen Erfolge der letzten 15 Jahre gründen sich nämlich nicht zuletzt auf einem wachsenden Wohlstand der Bevölkerung. Zwar ist die Kluft zwischen Arm und Reich, West und Ost noch immer tief, dennoch ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf seit 2002 spürbar gestiegen und hat sich eine Mittelschicht entwickelt. Wollen Erdogan und die von ihm mitgegründete AKP 2019 die Wahlen gewinnen, muss die Wirtschaft weiter anziehen.
Da die EU einer der wichtigsten Handelspartner für die Türkei ist, wird diese bis dahin wohl auch das angeschlagene Verhältnis zur Union wieder verbessern wollen. Das gilt ebenso für Österreich, obwohl Regierungsvertreter in Wien schon den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara gefordert hatten. Die politischen Scharmützel hatten aber auch bisher kaum Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Die Türkei bleibt laut Georg Karabaczek unter den 20 wichtigsten Exportmärkten für Österreich. Dieses liegt bei ausländischen Direktinvestitionen auf Platz drei.