"Fliesenlegerboom" in Deutschland: schlechte Erfahrungen mit Reform der Handwerksordnung.
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Wien. Die Reform der Gewerbeordnung ist auf Schiene. Im Rahmen der Begutachtung sind bisher Stellungnahmen von den Umweltanwaltschaften Österreichs und dem Zentralausschuss der Landeslehrer an Berufsschulen beim Amt der NÖ Landesregierung eingegangen. Letzterer warnt vor weiteren Liberalisierungsschritten und fordert, dass die Meisterprüfung als Zugangsvoraussetzung zum Gewerbe unbedingt erhalten bleiben müsse.
Über den Meisterbrief - für die einen ein Relikt aus dem mittelalterlichen Zunftsystem, für die anderen ein Gütesiegel für qualifizierte Handwerksarbeit - wurde in der Vergangenheit viel diskutiert. Blickt man über die Grenzen, scheint eine Aufhebung des Meisterzwangs tatsächlich unerwünschte Nebenwirkungen auszulösen. Die Bundessparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer ließ am Mittwoch zu diesem Thema die CDU-Abgeordnete Lena Strothmann sprechen. Die 2004 eingeleitete Reform der deutschen Handwerksordnung habe zwar zur Gründung vieler "Solo-Betriebe" geführt, aber keine Arbeitsplätze geschaffen, sagte Strothmann via Videoschaltung nach Berlin.
Ruinöser Preiswettbewerb
In den Großstädten sei es etwa zu einem regelrechten Fliesenleger-Boom gekommen, was in der Folge zu einem ruinösen Preiswettbewerb und zu Qualitätsverlusten geführt habe. An einem Standort seien oft mehrere Einzelunternehmer mit gleichem Leistungsangebot angemeldet. Ähnliches spiele sich auch bei Gebäudereinigern und Raumausstattern ab.
Im Jahr 2004 wurden in Deutschland von den damals bestehenden 93 Handwerkszweigen 52 zulassungsfrei gestellt, das heißt, in diesen Berufen ist seitdem für die Betriebsgründung keine Meisterprüfung mehr nötig. Für die verbleibenden Handwerkszweige gab es Erleichterungen bei der Gründung.
Ein Jahr vor der Liberalisierung gab es laut dem deutschen Industrie-Gewerkschafter Dietmar Schäfers 75.000 Neugründungen im Handwerk, im Jahr danach seien es 235.000 gewesen. 70 Prozent würden aber nicht mehr existieren. "Viele schaffen nicht einmal mehr als 17.500 Euro Umsatz", heißt es von Kleinunternehmen. "Ein-Mann-Betriebe können keine Facharbeiter mehr ausbilden", gibt Schäfers zu bedenken.
Renate Scheichelbauer-Schuster, Obfrau der Bundessparte und Chefin in einem Elektroinstallationsbetrieb, ist froh darüber, dass bei der Reform der österreichischen Gewerbeordnung ein "Kahlschlag" verhindert werden konnte. Künftig fallen die teilreglementierten Gewerbe weg, die 80 reglementierten Gewerbe will die Regierungsspitze laut Bundeskanzler Christian Kern "nochmals gemeinsam durchgehen". Die SPÖ sieht bei 16 Gewerben keinen Reglementierungsbedarf, etwa bei Buchbindern, Kleidermachern oder Fremdenführern.
Klarheit bei Nebenrechten
Mit der Ausweitung der Nebenrechte auf 30 Prozent (beziehungsweise 15 Prozent bei freien Gewerben) "der hauptberuflich ausgeübten gewerblichen Tätigkeit" eröffneten sich den Betrieben zwar neue Tätigkeitsfelder, hier müsse der Gesetzgeber aber noch konkreter werden. "Bei jedem Auftrag sollte das Verhältnis von Haupt- und Nebentätigkeiten nachvollzogen werden können", fordert Scheichelbauer-Schuster.
Die Begutachtungsfrist zum Gesetzesentwurf läuft noch bis 6. Dezember. Die WKO will bis dahin noch deponieren, dass sie die teilreglementierten Gewerbe Speiseeiserzeugung und Autoverglasung bei den reglementierten Gewerben der Konditoren beziehungsweise bei den Kraftfahrzeugtechnikern haben will.