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Wirtschaft für Neuwahlen

Von Marion Trimborn

Politik

Die deutsche Wirtschaft gilt als einer der kranken Männer Europas, der nur durch weitere Reformen geheilt werden kann. Die Möglichkeit vorgezogener Wahlen zum Bundestag lassen Firmen und Investoren auf eine verlässliche Wirtschaftspolitik ohne Blockaden hoffen.


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Am Montag überwog Erleichterung über ein sich abzeichnendes Ende der politischen Unsicherheit: "Eine frisch gewählte Regierung kann viel mehr tun als eine Regierung 16 Monate vor einer Wahl", sagt der Chefvolkswirt Europa der Bank of America, Holger Schmieding. "Das ist gut für das Land und für die Märkte." Mittelfristig könnten Neuwahlen Wachstumsimpulse auslösen.

Egal wie eine Bundestagswahl im Herbst ausgehen würde - die Wirtschaft wird nach einhelliger Meinung profitieren. "Es ist ein Befreiungsschlag", sagt der Chefvolkswirt der DekaBank, Ulrich Kater. "Jetzt kommen endlich klare Strategien auf den Tisch, die wir zuletzt sehr vermisst haben." "Heuschrecken-Debatte" und Kapitalismus-Kritik hätten Investoren verunsichert. "Viele Unternehmen wollen einfach nur, dass endlich das Blockieren und Taktieren aufhört", sagt der Banken- und Börsen-Experte Wolfgang Gerke. Sie hofften mit einem Sieg der Union auf eine "glatte Politik", die - unbelastet von Rangeleien zwischen Bundestag und Bundesrat - wichtige Reformen anstoße.

Die Amerikanische Handelskammer begrüßte die Entwicklung ebenfalls. "Deutschland wird dadurch für US-Investoren attraktiver", sagte Fred B. Irwin von der US-Handelskammer in Deutschland. Amerikanische Firmen glaubten sehr an die langfristigen Perspektiven Deutschlands und seien zu Investitionen bereit. "Stillstand ist immer schlecht, und wir erwarten, dass die Reformen jetzt weitergehen." In diesem Jahr würden amerikanische Investmentfonds voraussichtlich 30 Mrd. Euro in Deutschland anlegen wollen.

Kein Spielraum in

der Wirtschaftspolitik

Mit einer Wende in der Wirtschaftspolitik und einer Abkehr von Reformen rechnen die Experten nicht. "Es gibt in Deutschland keine Alternative zur Reformpolitik", sagt der Chefvolkswirt der Dresdner Bank, Michael Heise. "Eine SPD-Regierung würde sich mit der Wahl Rückendeckung holen für ihren Reformkurs, und eine CDU-Regierung würde neue Reformen beginnen." Die Unterschiede in der Wirtschaftspolitik der beiden großen Volksparteien seien zudem nicht sehr groß.

Nach einem möglichen Regierungswechsel erwartet Heise von der CDU ein höheres Tempo, das die Wirtschaft schneller wieder auf Wachstumskurs bringen könnte. "Die CDU wird bei den Unternehmen ansetzen", sagt der Chefvolkswirt. Die Union werde die Bedingungen für mehr Beschäftigung verbessern, den Kündigungsschutz und die Mitbestimmungsrechte lockern und tarifrechtliche Regelungen überarbeiten. Mit der Unions-Mehrheit im Bundesrat seien Entscheidungen leichter durchzusetzen. Auch eine große Steuerreform gilt als wichtiges Ziel.

Falls die SPD wiedergewählt würde, hofft der linke Flügel auf mehr Einfluss. Der Chef der Gewerkschaft IG Metall, Jürgen Peters, rief die SPD am Montag zu einer klaren und nachvollziehbaren Politik im Interesse der Arbeiter auf. "Nur wenn die Sozialdemokratie einen Politikwechsel einleitet, wird sie das Vertrauen der Arbeitnehmer zurückgewinnen", sagte Peters. Dass Gerhard Schröder die Reformpolitik zum Stillstand bringt, erwarten die Experten nicht.

Auch wenn langfristig die Wirtschaft von der Entscheidung profitieren würde, könnte es kurzfristig negative Auswirkungen auf Investitionen und den Euro-Kurs geben. "Die politische Unsicherheit bis zum Herbst ist größer als zuvor", sagt Volkswirt Stefan Bielmeier von der Deutschen Bank. "Auch der Euro könnte unter Druck geraten, da nach Frankreich und Italien nun auch Deutschland in eine schwere politische Krise geraten ist."dpa