Beschäftigungsmöglichkeiten in großem Stil ergeben sich vor allem für Personen, die sich mit Herausforderungen und Problemen der digitalen Transformation beschäftigen dürfen.
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Momentan hört man viel von der digitalen Transformation der Wirtschaft. Maschinen und andere Gegenstände vernetzen sich und kommunizieren in Zukunft miteinander. Doch gleichzeitig werden die Dinge auch intelligent. Dank selbstlernender Algorithmen treffen sie selbständige Entscheidungen, der Mensch ist immer weniger involviert. Die Produktion in einer "Smart Factory" kommt weitgehend ohne Menschen aus, und auch aus dem "Smart Office" wird der Mensch zunehmend verdrängt.
Angesichts solcher Prognosen ist es verständlich, dass drohende Jobverluste im Zentrum der Diskussion um die wirtschaftlichen Folgen der digitalen Transformation stehen. So kommen Studien für die USA und das Vereinigte Königreich je nach Daten und Annahmen zum Schluss, dass zwischen 9 und 47 Prozent aller Jobs gefährdet sind. Doch egal, wie groß der Prozentsatz tatsächlich sein wird: Man ist sich einig, dass eine ganze Reihe von Berufen weitgehend verschwinden wird.
Diese Aussicht bereitet aber längst nicht allen Ökonomen Sorgen. Denn, so sagen sie, auch in der Vergangenheit seien bestimmte Jobs bei technischem Fortschritt verschwunden. Aber es seien jeweils mehr neue Jobs entstanden als vernichtet worden. So stellte ein Bericht des Schweizer Bundesrates vom März 2017 Jahres fest, dass in den vergangenen beiden Jahrzehnten infolge des Strukturwandels etwa 350.000 Stellen in der Schweiz verloren gegangen, aber im selben Zeitraum netto 860.000 Jobs geschaffen worden seien. Also wird eine ähnliche Entwicklung auch bei der Digitalisierung vermutet, solange wir unser Bildungssystem immer schön brav an die neuen Herausforderungen anpassen.
Viele neue Jobs außerhalb von Produktion und Büro
Tatsächlich entstehen heute immer mehr Jobs außerhalb der Produktion und des traditionellen Büros. Fabrikhalle und Büro werden immer mehr zu selbständigen Systemen, in denen der Mensch nur noch ein Störfaktor ist. Doch gleichzeitig wird die Wirtschaft durch die Transformation immer dynamischer und komplexer. Ein sich stets beschleunigender Wandel sorgt für neue Herausforderungen und Probleme in fast allen Lebensbereichen.
So schafft die Digitalisierung zusätzliche Jobs für Informatiker, Datenspezialisten oder Programmierer, doch das ergibt nur einen kleinen Beschäftigungseffekt. Beschäftigungsmöglichkeiten in großem Stil ergeben sich vor allem durch einen zunehmenden Bedarf an Menschen, die sich mit juristischen, sozialen, ethischen, medizinischen, ökonomischen, ökologischen oder bildungsmäßigen Herausforderungen und Problemen des Wandels beschäftigen dürfen. So sind das Gesundheitswesen, das Sozialwesen und das Bildungswesen bereits heute in vielen Ländern für die Schaffung der meisten Arbeitsplätze verantwortlich. Und dies nicht nur dadurch, dass es mehr Ärzte, Lehrer oder Betreuerinnen braucht. Ein Großteil der Stellen entsteht durch die zunehmende Controlling- und Evaluationsbürokratie, die in diesen Bereichen wuchert und weiter wuchern wird.
Zwar wird die Digitalisierung auch in all diese Bereiche eindringen und viele traditionelle Jobs obsolet machen. Aber das schafft wieder neue Probleme und Herausforderungen und damit Arbeitsplätze an anderen Orten. Letztlich würde die Wirtschaft ohne diese Jobs in Zukunft gar nicht mehr funktionieren. Denn es braucht auch noch Konsumenten, die all die mit immer weniger Arbeit produzierten Güter und Dienstleistungen kaufen.
Komplexere Anreizsysteme dank Digitalisierung
Doch was noch kaum beachtet wird: Der Mensch wird auch im Konsumprozess immer weniger in Erscheinung treten. Nehmen wir das Gesundheitswesen als Beispiel. Krankenkassen beginnen schon heute damit, Kunden, die etwa eine Smartwatch tragen und sie so über ihren Gesundheitszustand auf dem Laufenden halten, einen Prämienrabatt zu gewähren. Dadurch wird eine permanente Gesundheitsüberwachung möglich. Der im Hintergrund wirkende Algorithmus wird den Smartwatch-Träger dann bei entsprechendem Über- oder Unterschreiten von Grenzwerten selbständig beim Arzt anmelden oder zu mehr Bewegung animieren und auch die jeweils "richtigen" Medikamente, Behandlungen und Therapien auswählen und entsprechende Vorschläge machen.
Daraus werden dann bald komplexere Anreizsysteme. So werden Menschen, die täglich Fitness machen, sich nicht fett ernähren, oder regelmäßig Präventionsuntersuchungen machen, mit noch besseren Tarifen belohnt, was auch vom Staat vorgeschrieben werden kann. Algorithmen optimieren so unser Konsumverhalten im Gesundheitsbereich und lenken es in eine wirtschaftlich und/oder auch politisch erwünschte Richtung.
Algorithmen bestimmen unser Konsumverhalten
Solche Entwicklungen werden viele Bereiche des Lebens betreffen. Wir fällen Konsumentscheidungen zu einem immer größeren Teil nicht mehr selbst, sondern überlassen dies intelligenten Algorithmen im Glauben, dass diese immer die für uns "besten Lösungen" auswählen. Die Nachfrage wird so vom Menschen unabhängiger, und aus der Konsumentensouveränität wird neu eine Algorithmenabhängigkeit. Das bedeutet allerdings auch, dass in Zukunft gar nicht mehr der Konsument selbst, sondern die für ihn arbeitenden Algorithmen die Adressaten von Werbung sein werden. In diesem Fall muss der Anbieter eines neuen Fitnessprogramms nicht mehr den Konsumenten, sondern dessen Gesundheits-App ansprechen. Also muss er versuchen, das Programm im Internet so zu platzieren, dass die App darauf aufmerksam wird und auch noch "lernt", dass es den Bedürfnissen des Nutzers besser entspricht als die bisherigen Angebote. Der Konsument des Fitnessprogramms selbst merkt von diesen ganzen Marketinganstrengungen aber nichts mehr, sondern hat nur die Gewissheit, eine noch "optimalere" Gesundheitsprävention zu betreiben.
Bequemeres Leben, aber auch mehr Kontrolle und Steuerung
Die neue Algorithmenabhängigkeit macht unser Leben wesentlich bequemer, aber wir werden immer mehr kontrolliert, abhängig und steuerbar. Auch die digitale Transformation spielt sich nicht im interessenfreien Raum ab. Letztlich sind sämtliche Entwicklungen durch ökonomische Anreize diktiert, die nicht zwingend mit unserer Lebensqualität korrelieren. Eine von einem Algorithmus gefällte angeblich optimale Konsumentscheidung muss keineswegs dem entsprechen, was wir selbst tatsächlich möchten. Also bleibt stets eine gewisse Unsicherheit, ob wir nicht digital übers Ohr gehauen werden.
Doch die Wirtschaft und auch der Staat haben ein starkes Interesse daran, dass wir Entscheidungen nicht mehr selbst treffen. Eine von Algorithmen gesteuerte Nachfrage lässt sich viel leichter beeinflussen und in eine gewisse Richtung lenken, was der Wirtschaft entgegenkommt. Durch Algorithmen auf Wohlverhalten getrimmte Bürger sind für den Staat leichter zu regieren und zu kontrollieren, sie zahlen auch brav ihre Steuern. So verselbständigt sich das Wirtschaftssystem zunehmend vom Menschen, und dieser wird, ohne es wirklich zu merken, von einem handelnden Subjekt zu einem vom System gelenkten Objekt.
Veranstaltungstipp:
Symposium Dürnstein
Das Symposion Dürnstein widmet sich dem Arbeitsbegriff und seinen Bedeutungsverschiebungen. Gäste sind unter anderem Autor und Historiker Philipp Blom, AMS-Vorstandschef Herbert Buchinger, Publizist Christian Felber, Unternehmer Daniel Häni sowie Architektin und Stadtforscherin Gabu Heindl.
"Wer nicht arbeiten will,
soll auch nicht essen -
Auf dem Weg zu einer globalen
Gesellschaft der Überflüssigen?"
8. bis 10. März, Stift Dürnstein
www.symposionduernstein.at