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In Wien können 900 Lehrstellen nicht besetzt werden. | Jank befürchtet ein weiteres Abrutschen der Schulen. | Wien. 70 Prozent der Wiener Betriebe klagen darüber, dass sie keine ausreichend qualifizierten Pflichtschulabgänger finden. Von 100 Bewerbern bei großen Unternehmen schaffen nicht mehr als zehn das Mindestqualifikationsniveau. Die Folge: 900 offene Lehrstellen können nicht besetzt werden.
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Viele junge Menschen beenden die Schulpflicht ohne Abschluss, bemängelte die Wiener Wirtschaftskammerpräsidentin Brigitte Jank am Montag in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Schulexperten Andreas Salcher. Sie forderte daher rasche Reformen, etwa die Ganztagsschule und die Individualisierung des Unterrichts.
Jank befürchtet ein weiteres Abrutschen der österreichischen Schulen. "Wenn wir nichts unternehmen, ist es heute die Lesefähigkeit, wo wir europaweit Schlusslicht sind, morgen die Wettbewerbsfähigkeit und schließlich das Abrutschen im Wohlstandsranking."
Individueller Unterricht
Der Leidensdruck der Wiener Betriebe veranlasste die WKO dazu, ein Pilotprojekt zu starten. Im Frühjahr wurden neun nicht vermittelbare Jugendliche - keine ausreichenden Kenntnisse in Rechnen, Lesen und Schreiben, und es mangelte auch an Pünktlichkeit und Sozialkompetenz - für ein spezielles Programm ausgewählt. Sie erhielten ein sehr individuelles achtwöchiges, ganztägiges Training nach internationalen Lernmethoden, verbunden mit positiver Psychologie. Am Schluss haben vier der Absolventen eigenständig eine Lehrstelle gefunden.
Jank betonte, dass man sehr rasch einen Erfolg herbeiführen kann, wenn man die richtigen Methoden anwende. Sie werde dieses Projekt auch mit dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl und mit Sozialminister Rudolf Hundstorfer besprechen. Es sei besser, bei Jugendlichen Geld in die Hand zu nehmen, um dann nicht ein Leben lang Transferleistungen zahlen zu müssen.
Salcher für Kurssystem
Laut Salcher ist Österreichs Schulsystem nur in drei Punkten top: bei den Kosten, bei der Diagnose der individuellen Schwächen des Kindes und bei der sozialen Diskriminierung.
Er fordert daher einerseits den Schwerpunkt auf Lehreraus- und -fortbildung zu legen, die Politik aus der Direktorenbestellung draußen zu halten, den Schulen mehr Verantwortung zu geben und vor allem die Einführung eines Kurssystems. Mit der Umstellung auf ein Kurssystem "hätten wir bald das beste System der Welt, denn das tun jetzt nur die Privatschulen". Damit und mit einer einheitlichen Lehrerausbildung, so Salcher, sei auch die ideologische Diskussion um eine Gesamtschule obsolet.