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Während die "gewöhnliche" Kriminalität sich sogar unter dem europäischen Durchschnitt befindet und auch die Aktivitäten der rund 80 Mafia-Banden offenkundig "zivilisierter" werden, verzeichnet Ungarn einen rasanten Anstieg der klassischen Wirtschaftskriminalität, der Gaunereien und Verbrechen "im Nadelstreif". Während die Dunkelziffer der begangenen Straftaten relativ hoch ist, soll die Aufklärungsquote jetzt durch Zusammenarbeit mit der EU erhöht werden.
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Nach einer Erhebung von PriceWaterhouseCoopers sind im vergangenen Jahr 39 Prozent der ungarischen Unternehmen von kriminellen wirtschaftlichen Delikten betroffen gewesen, was einen Anstieg um zwölf Prozent gegenüber vor zwei Jahren darstellt. Die häufigste Form der Wirtschaftskriminalität ist "Missbrauch des Eigentums" in irgendeiner Form, also im wesentlichen Diebstahl. Am meisten betroffen, so berichtete ergänzend Duna-TV, sind davon Banken, Brokerhäuser, Versicherungen, chemische und petrochemische Unternehmen sowie alle Firmen, die in irgendeiner Form mit Informationstechnologie zu tun haben.
Obwohl der entstandene Schaden durch Wirtschaftsdelikte in Ungarn geringer ist als in den alten EU-Ländern, wo der durchschnittliche Verlust pro gemeldetem und aufgedecktem Fall sich auf immerhin 2,2 Millionen Dollar beläuft, ist der Schaden im Land von Donau und Theiss dennoch beträchtlich: Sieben Prozent von 180 geschädigten Firmen gaben einen Betrag von immerhin einer Million Dollar an.
Die Hoffnung, dass sich die - wohlgemerkt statistische - Zunahme der Wirtschaftskriminalität mit dem Beitritt zur Europäischen Union verbessern könnte, wird von Experten bezweifelt. Es wird zuerst scheinbar schlechter werden, ehe es besser wird, so die einhellige Meinung. Das vor allem deshalb, weil durch genauere betriebsintene Kontrollmechanismen, verschärftes "Reporting" und nicht zuletzt auch durch die wachsende polizeiliche Zusammenarbeit innerhalb der EU mehr Verbrechen, Betrügereien und sonstige Gaunereien entdeckt werden als früher.
Kommissar "Zufall"
Im Unterschied zu den "alten" EU-Ländern werden in Ungarn mehr als die Hälfte der Wirtschaftsdelikte derzeit noch per Zufall entdeckt, während die vergleichbare Zahl aus Westeuropa bei nur 36 Prozent liegt. Das betriebsinterne Controlling trägt in den alten EU-Ländern zu 28 Prozent zur Aufdeckung wirtschaftskrimineller Handlungen bei, in Ungarn vorerst nur zu 20 Prozent.
Korruption und Bestechung
Die Studie förderte ein weiteres, eher überraschendes Ergebnis zu Tage: 59 Prozent der befragten Unternehmen in Ungarn sehen Korruption und Bestechung als ein ernstes Problem, aber nur 14 Prozent gehen es auch aktiv an und treffen Gegenmaßnahmen. Laut "Transparency International" rangiert Ungarn auf einer Liste von 133 Ländern auf dem 40. Rang und damit besser als das alte EU-Land Griechenland, das auf Platz 44 anzutreffen ist. Ungarn war zwar im vergangenen Jahr in einem besseren Ranking, nämlich auf Platz 33, aber das Abrutschen ist nicht dramatisch, weil ja neue Länder in die Beobachtung einbezogen wurden.
Aber immerhin hat der kürzlich veröffentlichte Bericht des Rechnungshofes über die Privatisierungen seit 1989 aufgezeigt, dass "ungeachtet einiger Fehler und substantieller Verluste beim Verkauf von Staatseigentum" kaum Korruption im Spiel war und eine insgesamt positive Bilanz gezogen werden kann, was in den ehemaligen kommunistischen Ländern Osteuropas eher die Ausnahme ist. Ähnlich kurios und unverständlich wie bei der Korruption ist übrigens, dass die Firmen in Ungarn die Gefahr der Industriespionage als vernachlässigbar einschätzen, aber 30 Prozent damit im letzten Jahr zu tun gehabt haben. Noch ärger ist das beim "Cyber-Crime", also dem Einbrechen von Hackern in firmeneigene Datennetze: Nur ein Prozent der ungarischen Firmen sieht diese Kriminalität als Bedrohung und echte Gefahr, aber 16 Prozent waren davon betroffen.
Sorglose Top-Manager
Eine gewisse Sorglosigkeit wird aus den Erhebungen offenkundig: Von 178 befragten Top-Managern geben immerhin mehr als zwei Drittel zu, sie hätten nicht einmal versucht, die Sicherheitsrisiken für ihr Unternehmen abzuschätzen. Sie haben auch keine Idee, welcher Schaden dadurch entstehen kann. Natürlich gibt es in Ungarn - und Untersuchungen aus anderen ehemals kommunistisch regierten Staaten Osteuropas bestätigen das - ein mentales Problem. Korruption und Bestechung und auch das Bestehlen und Betrügen von Unternehmen gilt in der Gesellschaft als ein "opferloses" Verbrechen und daher immer noch als Kavaliersdelikt.
Aus Sicht der ungarischen Unternehmensführer nimmt sich das freilich ganz anders aus: 67 Prozent der Befragten geben an, Betrug untergrabe die Arbeitsmoral im Betrieb, 40 Prozent sehen darin auch einen Imageschaden und 33 Prozent glauben, dass sich das auf die Marke und das Produkt schädlich auswirkt und Marketinganstrengungen zunichte macht.