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Wirtschaftsbildung: Richtige Diagnose, falsche Therapie?

Von Ernst Smole

Gastkommentare
Ernst Smole war Berater der Unterrichtsminister Fred Sinowatz, Helmut Zilk und Herbert Moritz. Er ist Musikkindergärtner und Koordinator des "Bewegungs- und Unterrichtsplans für Österreich 2030".
© privat

Die Schulen brauchen weniger Projekte, aber deutlich mehr Regelmäßigkeit und Verbindlichkeit.


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Vor mehr als einem halben Jahrzehnt legte die Wiener Börse das für Oberstufenschüler gedachte Finanz- und Wirtschaftsbildungsformat "börse4me - Unterrichtsmaterialien zu Börse und Kapitalmarkt" auf, das in Zusammenarbeit mit der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/
Krems erarbeitet worden war. Bald wurde offenbar, dass ein erheblicher Teil der Schüler mit diesem Programm überfordert war, da es ihnen an der Beherrschung der Grundrechnungsarten - subkutan auch am auf das Rechnen bezogene sinnerfassenden Lesen - mangelte.

Dieses Phänomen hat sich seither verstärkt. "Nullerkurse" an Universitäten zum Nachholen des Pflichtschulstoffs im Rechnen oder die jüngst medial vorgetragene Botschaft des Rektors der Montanuniversität Leoben, dass die Studenten "ohne Taschenrechner hilflos" seien, sind nur zwei von vielen Symptomen dieser Entwicklung, die mittlerweile weitum bekannt ist und zu Recht beklagt wird.

Wenn sich junge Menschen bis 30 Jahre - sie machen rund ein Viertel der Kunden der Schuldnerberatung aus - mit durchschnittlich 30.000 verschulden, dann passiert dies nicht wegen fehlender Finanzbildung, sondern weil Sie aufgrund mangelnder basaler Rechenfähigkeit mit Zahlen so gut wie nichts anzufangen wissen. "Sie erfassen den Zahlenraum bis 100 nicht mehr!", so die Diagnose eines führender Mathematik-Didaktikers der Uni Wien.

Das Rechnen verlangt wie das Lesen, Schreiben und gelingendes haptisches Tun regelmäßiges Üben - in unserem System der Halbtagsschule sowohl in der Schule als auch daheim. Üben ist nicht nur in der Volksschule unverzichtbar, sondern während der gesamten Schulzeit und darüber hinaus. In der Schule steht durchgehende Regelmäßigkeit zeitlich limitierten Projekten gegenüber. Wenn Letztere aufgrund ihrer hohen Dichte die Regelmäßigkeit beeinträchtigen, gar verunmöglichen, muss gegengesteuert werden.

Die Betreiber der "Stiftung Wirtschaftsbildung" - von Arbeiterkammer über Nationalbank und Wirtschaftskammer bis hin zu Firmenkonsortien - täten gut daran, zuerst ihr immenses gesellschaftspolitisches Gewicht und ihre finanziellen Möglichkeiten dafür zu nutzen, die Schule durch gezielte Systemänderungen - Stichwort: unzeitgemäßer, behindernder, aber dank des heute weitreichendem politischen Konsens leicht zu reformierender schulbezogener Föderalismus - wieder in die Lage zu versetzen, ihren Kernaufgaben allen Schülern gegenüber gerecht zu werden. Das gekonnte Lesen, Schreiben und Rechnen ist wohl die zentralste dieser Aufgaben. Erst dann werden Investitionen im Bereich der Finanz- und Wirtschaftsbildung fruchten. Geht man den jetzt geplanten, verkehrten Weg - Wirtschaftsbildung vor nachhaltiger Sanierung des Krisenfalls Rechnen - wird außer bunten Fotos fröhlicher Kinder und stolzer Firmenchefs nichts entstehen, was den berechtigten Anspruch auf Nachhaltigkeit erheben kann.

Diese Befunde bestätigt ein führender Wirtschaftsmensch anekdotisch: "Mein 14-jähriger gymnasialer Nachwuchs scheiterte beim Berechnen seines Notenschnitts im Semesterzeugnis."