Riga/Tallinn/Vilnius - Die "baltischen Tiger" setzen wieder zum Sprung an. Zwar gehören die Jahre mit zweistelligen Wachstumsraten spätestens seit der Russland-Krise 1998 der Vergangenheit an. Doch die Wirtschaft wird wieder dynamischer: In Litauen wurde in den ersten drei Monaten ein BIP-Wachstum von 9 Prozent verzeichnet. Für AuslandsinvestorInnen aus EU-Staaten bleiben Estland, Lettland und Litauen weiterhin interessant. Dies könnte auch für Österreich gelten - doch die Wirtschaftstreibenden halten sich zurück.
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"Insurance", sagt der lettische Zollbeamte. Und stößt auf Unverständnis. Bei der Einreise nach Estland ist schon eine zusätzliche Autoversicherung abzuschließen, in Litauen kommt die nächste Zahlstation. Doch für die Fahrt durch Lettland muss auch noch eine Gesundheitsversicherung her. Das sei jetzt neu, erklärt der Grenzwächter. Ein Jahr bevor die drei baltischen Staaten der EU beitreten und in Folge auch die Grenzen zwischen ihnen fallen, treten noch derartige Gesetze in Kraft.
Nicht nur territorial grenzen sich die ehemaligen Sowjetrepubliken Lettland, Estland und Litauen voneinander ab. Drei Währungen, drei Sprachen und zwei Sprachgruppen, drei Steuersysteme, unterschiedliche Kulturen und Handelsbeziehungen: Eigenständigkeit wird überall betont. Gemeinsames Auftreten wird höchstens auf politischer Ebene versucht, meist nur in Deklarationen.
Einige internationale Investor-Innen beklagen die Zersplitterung: Statt "das Baltikum" als gemeinsamen Wirtschaftsraum zu vermarkten, versucht es jeder Staat einzeln auf seine Weise. Drei Börsen gibt es in den Ländern, die zusammen weniger EinwohnerInnen haben als Österreich. Im Konkurrenzkampf um Direktinvestitionen und Absatzmärkte ist jedes auf sich allein gestellt.
"Es gibt keinen baltischen Raum", betont denn auch der estnische Unternehmer und frühere Berater im Wirtschaftsministerium Armand Andres Pajuste. Auch in Zeiten der Sowjetunion habe es kaum Verbindungen zwischen den Republiken gegeben. "Es ging alles von Tallinn nach Moskau, von Riga nach Moskau, von Vilnius nach Moskau."
Nun geht das meiste in EU-Staaten, mit denen rund zwei Drittel des Außenhandels abgewickelt werden. Zu den wichtigsten Partnern gehören für Estland Finnland, Schweden und Deutschland; für Lettland Deutschland und Großbritannien; für Litauen Großbritannien und Russland. Als Standort für Investitionen bleiben die baltischen Länder wohl auch in den nächsten Jahren attraktiv - und das zumindest ist allen drei gemein. Immerhin bilden sie die stärkste Wachstumsregion Europas. Im Vorjahr betrug das BIP-Wachstum in Litauen und Estland knapp unter 6, in Lettland über 6 Prozent. Die Kaufkraft allerdings liegt in Litauen und Lettland bei einem Fünftel des österreichischen Niveaus.
Nun wäre es auch für österreichische Unternehmen höchste Zeit, sich in den baltischen Staaten zu positionieren, meint der Handelsdelegierte für die Region, Georg Karabaczek. Denn mit dem EU-Beitritt wird sich der Konkurrenzkampf um die Märkte noch verstärken. Zwar stiegen die Exporte Österreichs nach Estland im Vorjahr um 32,6 Prozent und nach Lettland um über 25 Prozent. Im Ländervergleich spielt Österreich aber eine geringe Rolle. Eines tut Karabaczek fast weh: Während die österreichischen Mozartkugeln in Estland keinen Absatz finden, verkauft sich deutsche "Mozartschokolade" ausgezeichnet.
Mit einer Reportage aus Litauen wird die Serie morgen fortgesetzt.