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Wirtschaftsfaktor Schau-Lust

Von Georg Biron

Reflexionen

Fast alles ist gratis, vor allem im Internet. Trotzdem ist Pornographie ein riesiges globales Business.


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Vor 25 Jahren war ich mit Dolly Buster auf Urlaub in Bali. Das klingt verruchter, als es war. Obwohl: Sie zählte zu den bekanntesten Porno-Darstellerinnen der Welt, war ein gern gesehener Gast bei TV-Talkshows, spielte in Kino- und Fernsehfilmen kleine Rollen und hatte die Schallplatte "Make Love, Make No War" herausgebracht. Dolly war sozusagen in aller Munde.

Jetzt sollte sie ein Buch über ihr Leben schreiben, und ihr Verlag hatte ihr empfohlen, mich als Ghostwriter ins Boot zu holen. Ich erhielt einen fürstlichen Vorschuss, und so konnte ich es mir leisten, sie in ein Luxushotel auf der "Insel der Götter" einzuladen, um die bevorstehende Arbeit an ihrer Autobiographie zu besprechen und einander mit getrennten Betten und gemeinsamem Tisch besser kennenzulernen.

Selbstverständlich hatte ich sie bereits ein paar Mal "in Action" bewundert, aber sonst wusste ich nur sehr wenig über sie. Dolly Buster wurde als Kateřina Nora Bochníčková am 23. Oktober 1969 in Prag als Kind einer Arbeiterfamilie geboren. Sie war 13 Jahre alt, als die Eltern mit ihr und ihrem jüngeren Bruder die Tschechoslowakei verließen und in die BRD emigrierten. Sie arbeitete dann auf dem Flughafen Frankfurt beim Bundesgrenzschutz als Dolmetscherin für Russisch, Tschechisch und Polnisch. Eines Tages sprach sie ein Fotograf an, der von ihr Nacktfotos machen wollte und sie zu Pornodreharbeiten mitnahm. Dort startete sie eine steile Aschenbrödel-Karriere und sammelte mehr als drei Haselnüsse. Ihren Führerschein machte sie wenig später im eigenen Ferrari.

Weniger prüde

Porno ist, wie der Filmkritiker Georg Seesslen in seinem Buch "Der pornographische Film" schreibt, "vor allem eine Männergeschichte, die sich bis heute in einer männlich beherrschten Welt entwickelte. (...) Wir werden uns damit begnügen müssen, als Pornographie das zu bezeichnen, was eine bestimmte Geste aus Abwehr, Faszination, Erregung und Empörung, eine Angst-Lust-Geste, auslöste. Die Geschichte des pornographischen Films ist ein Kapitel aus der Geschichte der Unmöglichkeit der Liebe im Abendland."

Irgendwie schienen die Zeiten damals weniger prüde gewesen zu sein als heute. Die Öffentlichkeit hatte keine Berührungsängste mit Pornographie. Auf dem Flughafen Wien sorgte Dolly Buster für einen Menschenauflauf. Man wollte Autogramme von ihr und gemeinsame Fotos mit ihr. Und auch in Bali wurde sie immer wieder erkannt - nicht nur von Touristen, sondern auch von jungen einheimischen Männern, die im Nachtleben von Seminyak hinter uns "Dolly Buster, Dolly Buster!" riefen und uns auf ihren laut knatternden Mopeds lachend verfolgten.

Verletzte Würde?

Um ungestört zu sein, bewegten wir uns auf moralisch gefestigten Elefanten durch den tropischen Regenwald und wurden von Affen sexuell belästigt. Dolly hatte Angst, vom schaukelnden Ritt auf dem Elefanten seekrank zu werden, und ich fragte sie zur Ablenkung, wie sie es mit der Pornographie hält.

"Männer wollen etwas Besonderes sehen, das sie zu Hause von ihren Frauen nicht bekommen. Trotzdem wollen sie das haben. Ich verstehe nicht, warum dadurch die Würde der Frau verletzt sein sollte. Für mich ist genau das Gegenteil der Fall. Wenn dabei jemandes Würde untergraben wird, dann doch wohl eher die des Mannes."

Aber es ist eine Illusion, die du verkaufst?

"Ja, es ist eine Illusion. Aber es wäre mir lieber, es wäre keine. Ich finde, die Männer und die Frauen sollten eine freiere Einstellung haben und nicht so verklemmt sein."

Mir fällt auf, dass viele Frauen im europäischen Porno-Business aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks stammen. Woran liegt das?

"Nun, wir hatten in diesen traurigen Zeiten dort drüben nicht sehr viele Möglichkeiten, um uns auszutoben. Auch fehlte das Geld. Auslandsreisen sind für die meisten ein Traum geblieben. Was wir aber gehabt haben, das war Sex. Das war eine schöne und billige Sache, da haben wir uns ausgetobt. Die Kirche hat keinen großen Einfluss gehabt, und daher kennen wir in der Sexualität vielleicht weniger Tabus als die Menschen im Westen. Wir sind ein bisschen hemmungsloser."

Es gibt in letzter Zeit etliche Frauen, die sich öffentlich zu Wort melden und sagen, nur ein sehr gut ausgestatteter Mann könne eine Frau im Bett befriedigen, die Mehrheit der Männer sei deshalb sowieso zu vergessen.

"Was sind denn das für Frauen? Die haben von Männern keine Ahnung und im Bett bisher höchstwahrscheinlich sehr langweilige Erfahrungen gemacht, weil sie sich nicht hingeben können. Ein großer Penis macht noch keinen Mann. Natürlich ist es schön, wenn ein hübscher Junge seine Erregung zeigt. Bei einer Produktion muss ich in erster Linie darauf achten, dass die Leute was zum Gucken haben. Deshalb arbeite ich mit Darstellern, die auch diesbezüglich etwas darstellen. Aber ich glaube nicht, dass eine Frau nur bei einem großem Penis Erfüllung findet. Das ist Unsinn."

Keine Porno-Stars mehr

Du drehst alle zwei Monate einen Film, kennst vor der Kamera kaum ein Tabu und trittst als Attraktion bei Privatfesten auf. Bist du reich?

"Wer ist schon reich? Auf jeden Fall lebe ich besser, als wenn ich jeden Tag in ein Büro gehen und mich von einem Chef herumkommandieren lassen müsste. Mir kann keiner was befehlen, ich bestimme das Honorar. Wenn man mir das nicht bezahlen will, mache ich es nicht. Und damit sind wir wieder bei der Würde. Eine Sekretärin oder eine Putzfrau haben einen von oben diktierten Preis, sie müssen machen, was ihrem Chef gefällt, und ich denke, die werden wesentlich mehr unterdrückt als ich. Ich mache nur das, was ich will."

Die Elefanten waren froh, uns nach drei Stunden wieder los zu sein. Und auch die Affen verloren das Interesse und wandten sich vier japanischen Stewardessen in Uniform zu.

Seither hat sich auch die Welt der Pornographie gründlich verändert. Es gibt keine Porno-Stars mehr. Namenlose Amateurinnen und Amateure dominieren den Markt. Tagesgagen von 1.000 Euro und mehr gibt es längst nicht mehr. Schnurrbärtige Porno-Produzenten mit Sonnenbrillen im Porsche-Design und dicken Goldketten um den Hals, die noch in den 1990er Jahren mit VHS-Kassetten und DVDs ein Vermögen verdient hatten, machten Pleite.

Global Player wie das Hochglanz-Label "Private" erlebten am Beginn der 2000er Jahre ein Desaster an der Börse. Und im EU-Parlament wird regelmäßig eine Verbreitungsbeschränkung für pornographische Produkte diskutiert, weil sie genauso schädlich sein sollen wie Schnaps, Zigaretten oder fettes Essen. In den USA will die Feministin und Jusprofessorin Catharine MacKinnon ein Gesetz erwirken, das es Frauen ermöglichen soll, die Porno-Industrie auf Schmerzensgeld zu verklagen - wegen der seelischen Schäden und Ehrverletzungen, die sie durch Pornos und deren Einfluss erlitten haben.

"Pornographie ist Phantasie, weil sie sich im Kopf abspielt", meint dagegen die Cineastin Beate Klöckner in ihrem Buch "Die wilde Ekstase des Paradieses". "So ist jedes Pornographieverbot gleichzeitig ein Phantasieverbot. Es geht um die Zensur ‚minderwertiger‘ sexueller Phantasien."

Pornohauptstadt Wien

Die wenigsten wissen, dass ausgerechnet die alte Kaiserstadt Wien am Beginn des 20. Jahrhunderts die größte Pornoproduktionsstätte der Welt war. Zum Einsatz vor der Kamera kamen hauptsächlich böhmische Ziegelarbeiter vom Wienerberg und junge Wiener Dienstmädchen. Die Auftraggeber stammten aus ganz Europa und bestellten bei den Produzenten genau die Bilder, die sie im Film sehen wollten. Das war die Fortführung einer Tradition, die davor mit künstlerischen Werken betrieben wurde, die sich auf Darstellungen im "Kamasutra" oder in asiatischen Tempelreliefs bezogen.

Wer die Geschichte der Menschheit studiert, stolpert schon früh und immer wieder über schamlose Artefakte. Schon vor rund 30.000 Jahren wurden Abbildungen von nackten Frauen in die Felswände von Höhlen geritzt. Keramiktafeln aus dem 8. bis 7. Jahrhundert v. Chr. in Griechenland zeigen hetero- und homosexuelle Paare beim Sex. Im 1. Jh. n. Chr. erfreuten sich die alten Römer in der Stadt Pompeji an reizvollen Wandbildern und Statuen mit sexuellen Motiven. Jahrtausende lang waren solche Obszönitäten frivole Einzelstücke. Erst die Erfindung von Drucktechniken, Fotografien und Filmen sorgte für die massenhafte Verbreitung.

Sebald und Barthel Beham aus Nürnberg bedienten mit ihren derben Druckgraphiken im 16. Jahrhundert sowohl Voyeure als auch Sittenwächter. Der Briefroman "Fanny Hill" (1748) von John Cleland ist die erste englischsprachige pornographische Erzählung und war ein Bestseller. 1839 entstanden die ersten erotischen Daguerreotypie-Fotografien auf spiegelglatt polierten Metalloberflächen. 1896 war zum ersten Mal eine nackte Frau im Film zu sehen ("Le Coucher de la Mariée").

Der erste Porno-Film, der eine Spielhandlung hat, ist "A l’Ecu d’or ou la Bonne Auberge" aus dem Jahr 1908: Ein Musketier steigt in einer Herberge ab und wird von der Wirtshausmagd liebevoll verführt. Danach gab es zwei Weltkriege und eine Weltwirtschaftskrise, und die lüsternen Männer mussten sich mit billigen einschlägigen Ansichtskarten begnügen. Der Wiederaufbau und die sexuelle Revolution brachten neue Gesetze und neue Marktnischen. Doch erst mit Filmen wie "Behind the Green Door" und "Deep Throat" in den 1970er Jahren verließ das Genre die Schmuddelecke und fand in ganz normalen Kinos öffentlich statt.

1978 hatte nur ein Prozent der US-Amerikaner einen VHS-Video-Player, aber 75 Prozent der verkauften Kassetten waren Pornos für das stimulierende Heimkino. In den 1990ern fanden weltweit immer mehr Menschen Zugang zu Heimcomputern und nutzten sie auch exzessiv zum Abspielen von sexy CD-ROMS und DVDs. Aber erst die Verbreitung der Internet-Dienste trieb die virtuelle Sau hemmungslos durchs globale Dorf: 1994 ging das erste Porno-Portal (Sex.com) online. 2005 wurde der Umsatz der WWW-Porno-Industrie auf 2,3 Milliarden Euro geschätzt. Heute geht man laut Statistik des Portals netzsieger.de von 12,6 Millionen Euro aus - pro Tag.

Die Corona-Pandemie mit Lockdowns und Socal Distancing hat die Lust auf sexy Augenfutter in die Höhe katapultiert. So verzeichnet das Portal pornhub.com einen User-Zuwachs von rund 25 Prozent, und bei onlyfans.com kann man sich sogar über ein Plus von 150 Prozent freuen. Fast 80 Prozent der Männer und mehr als ein Drittel der Frauen klicken sich in unseren Zeiten durch das internationale Angebot.

Firmen-Geflechte

"Die Nummer eins ist nach Daten des Marktforschers SimilarWeb der Anbieter XVideos mit 640 Millionen Besuchen im Monat", notiert Kira Ayyadi auf Focus-Online. "Platz 2 ist Xhamster mit 533 Millionen Besuchern. Auf Platz 3 liegt Pornhub mit 458 Millionen Besuchern." Der Blog Extremetech.com hat errechnet, dass die Besucher der größten Pornoseite (XVideos) in jeder Sekunde 50 Gigabyte an Daten abrufen. YouPorn hat auf seinen Servern Videos mit einem Volumen von mehr als 100 Terabyte gespeichert. Bei rund 100 Millionen Abrufen am Tag kommen Datentransfers von 950 Terabyte zustande.

Das größte Porno-Unternehmen im Web ist Mindgeek, das früher Manwin hieß. Es wurde vom deutschen Programmierer Fabian Thylmann gegründet und im Jahr 2013 um kolportierte 73 Millionen Euro an die neuen Eigentümer verkauft. 2016 wurde Thylmann am Landgericht Aachen wegen Steuerhinterziehung zu einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Heute versucht er, medizinisches Cannabis online unter die Leute zu bringen.

Mindgeek ist ein Geflecht aus mehr als 30 Firmen, besitzt weltbekannte Marken wie Pornhub, YouPorn, RedTube, Brazzers, Mofos, Mydirtyhobby, Tube8, ExtremeTube und SpankWire, bietet weltweit auch Live-Chats an und hat Büros in Luxemburg, Kanada, USA, Großbritannien, Irland, Deutschland und Zypern. Zu den Besitzern des Erektionsentertainment-Konzerns zählt nach Recherchen der "Financial Times" und des österreichischen Magazins "Dossier" auch ein Österreicher: Der 54-jährige Bauernsohn Bernd Bergmair aus Oberösterreich ist angeblich Mehrheitseigentümer von Pornhub & Co. Er studierte in Linz und arbeitete später für die Investment-Banker von Goldman Sachs in New York, bevor er im Jahr 2006 die Pornoseite RedTube kaufte.

Klares Feindbild

Während Bergmair von "Dossier" als "Phantom" bezeichnet wird, das mit seiner Frau und drei Kindern unerkannt in London lebt, steht Mindgeek-CEO Feras Antoon im Licht der Öffentlichkeit. Für die Anti-Porno-Bewegung in Nordamerika ist der gebürtige Syrer ein klares Feindbild. "Ausgerechnet in einer Gegend von Montreal, in der früher weltbekannte Mafia-Bosse residiert haben", berichtet Sebastian Meineck auf dem Portal netzpolitik.org, sollte um umgerechnet rund 13 Millionen Euro das Machtsymbol des Porno-Königs errichtet werden: eine 21-Zimmer-Villa für die ganze Familie. Aber noch vor der Fertigstellung wurde das Anwesen am 26. April 2021 von unbekannten Täterinnen oder Tätern niedergebrannt. Die abgefackelte Villa, glaubt Meineck, ist "längst zu einem Symbol geworden. Einerseits für den unglaublichen Reichtum von Pornoseiten, andererseits für den Zorn ihrer teils erbitterten Feinde."

Jeder kann seine selbst gedrehten Pornos auf den speziellen Tube-Seiten hochladen und sie der interessierten Weltöffentlichkeit präsentieren. Wer so etwas sehen will, darf das Meiste davon gratis konsumieren. Nicht immer sind alle Akteure damit einverstanden, dann müssen die privaten Ergüsse von den Betreibern wieder vom Netz genommen werden. So weit, so klar. Rätselhaft aber bleibt die Antwort auf die Frage: Woher stammt das ganze Geld in diesem Biz, wenn fast alles gratis ist?

Die "Financial Times" dokumentiert, dass der mittlerweile insolvente deutsche Zahlungsabwickler Wirecard mindestens bis 2017 die Finanzen für 4.000 Porno- und Dating-Websites abwickelte. "Wirecard war die Hausbank für das Unternehmen hinter YouPorn und Pornhub", schreibt Caspar Schlenk im Wirtschaftsmagazin "Finance Forward". "Experten äußerten den Verdacht, es könne sich hierbei um Geldwäsche handeln."

Genug ist nicht genug. Genug kann nie genügen. Ein neuer Geschäftszweig verbindet ab sofort die nackten Tatsachen mit der charmanten Chance, sein Geld online loszuwerden. Im 18+ Pornhub-Casino gibt es Poker-Turniere zum Mitmachen, sexy Live-Kartengeberinnen, Porno-Spielautomaten, Sportwetten etc.

Bezahlt werden kann dort auch mit Bitcoins ...

Georg Biron, geboren 1958, lebt als Schriftsteller, Reporter, Regisseur und Schauspieler in Wien. Zuletzt ist von ihm erschienen: "Birons Welt. 20 Short Storys von unterwegs" (Wieser, 2022).