Theodor Ickler verließ Rechtschreibrat | Der deutsche Reform-Gegner im "WZ"-Gespräch. | "Wiener Zeitung":Herr Professor Ickler, wie war der Rechtschreibrat zusammengesetzt und warum wurden Sie Mitglied?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Theodor Ickler : Im Rat saßen fast nur die bekannten Reformbetreiber, darunter sieben von zwölf Mitgliedern der aufgelösten Zwischenstaatlichen Kommission. Trotzdem bin ich im Frühjahr 2005 der Bitte des P.E.N.-Zentrums gefolgt, die Interessen der Schrift-steller zu vertreten.
Wie sah die Arbeitsweise dieses Gremiums aus?
Als erstes hat der Rat sich für alle Beschlüsse eine Zweidrittelmehrheit verordnet. Damit wurde sichergestellt, dass keine Korrektur der neuen Regeln gegen den Willen der Reformbetreiber zustande kommt. Dieser Vorschlag wurde von einigen Reformern damit begründet, dass dann in der Öffentlichkeit größere Akzeptanz zu erwarten sei. Doch die Zustimmung der Bevölkerung hat nichts mit den Mehrheitsverhältnissen in diesem handverlesenen Rat zu tun. Auf jeder Sitzung war ein Aufpasser der bundesdeutschen Kultusministerkonferenz anwesend.
Wie lief die Entscheidungsfindung im Rat?
Es gab Arbeitsgruppen zu bestimmten Themenfeldern. Es wurden dann im Plenum Satz für Satz einzelne Paragraphen diskutiert und abgestimmt. Dabei ging natürlich jede Konsistenz des Ganzen verloren, es dominierten sachfremde Interessen. Die große Mehrheit stimmte nach Gusto ab, nicht nach Prinzipien.
Wie löste die Kommission den Rat ab?
Die Zwischenstaatliche Kommission scheint formlos entlassen worden zu sein. Soweit ich von der Kultusministerkonferenz erfahren konnte, wurde den bundesdeutschen Mitgliedern mitgeteilt, dass sie zu Hause bleiben können. Daraufhin traten jeweils drei Schweizer und Österreicher im neuen Rat wieder an. Dickfelligkeit ist gar kein Ausdruck. Bei den Österreichern und Schweizern, die vollzählig wieder nominiert wurden, war es noch etwas: ein Affront gegen die Kultusministerkonferenz.
Welchen Zweck haben solche Gremien?
Das ganze Theater findet nur statt, weil der Bevölkerung durch List, Gewalt und Zermürbung eine vollkommen misslungene, aber einträgliche Neuschreibung aufgenötigt werden soll.
Welche Alternative könnten Sie bieten?
An den Schulen wird die allgemein übliche Rechtschreibung unterrichtet, so wie die üblichen Rechenarten. Rechtschreibwörterbücher werden wie andere Schulbücher von den Kultusministerien zugelassen. Das ist mein Vorschlag zur Entstaatlichung, er liegt seit neun Jahren auf dem Tisch, war sogar schon von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gebilligt. Ich habe die übliche Rechtschreibung in einem schlanken und leicht fasslichen Regelwerk dargestellt.
Das österreichische Wissenschaftsministerium hat mitgeteilt, im Rat würden Befürworter und Kritiker in "überliefert konstruktiver Weise" zusammenarbeiten. Warum scheren Sie aus?
Dieser Schritt wurde notwendig, nachdem die Ratsmehrheit und der Vorsitzende Hans Zehetmair die Revision der missglückten Rechtschreibreform auf Wunsch der Kultusminister vorzeitig abgebrochen hatten. Wesentliche Teile der Neuregelung durften nicht mehr bearbeitet werden, weil die mangelhaften Regeln zum nächsten Schuljahr verbindlich werden sollen. Damit haben die wirtschaftlichen Interessen der Verlage und das Prestigebedürfnis der Politiker über das allgemeine Interesse an einer sprachrichtigen Rechtschreibung gesiegt.
Wie sieht die Zukunft der Rechtschreibreform aus?
Es gibt jetzt drei Möglichkeiten. Erstens: Die Kultusministerkonferenz winkt das Paket durch. Dann bekommen wir eine miserable Schulorthografie, nicht besser als die Version von 2004, weil es zwar einzelne Korrekturen gibt, aber eine verwirrende Formulierung.
Zweitens: Die Ministerkonferenz lehnt alles ab und beharrt - mit Rücksicht auf die Schüler, also die Verlage - auf dem Stand vom Sommer 2005. Dazu rät ihnen die mächtige Lehrergewerkschaft GEW.
Drittens: Nur die Empfehlungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung, Zeichensetzung und Silbentrennung werden gebilligt. Das hat eine gewisse Wahrscheinlichkeit, weil die Änderungen der Getrennt- und Zusammenschreibung von der Kommission schon vorgenommen wurden, beide großen Wörterbücher haben sie weitgehend umgesetzt. Die geänderte Silbentrennung würde zwar auch den Neudruck der Wörterbücher notwendig machen, aber die Änderung einer einzigen Regel lässt sich kostensparend, wahrscheinlich sogar vollautomatisch in den nächsten Nachdruck integrieren. Das muss Wörterbuchverlagen gefallen.
Zur Person
Theodor Ickler, 1944 geboren, ist Professor für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Erlangen-Nürnberg. Der Germanist ist einer der bekanntesten Kritiker der Rechtschreibreform von 1996. 2001 wurde er mit dem Deutschen Sprachpreis ausgezeichnet. Für den Schriftstellerverband PEN war er im Rechtschreibrat tätig.