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Wirtschaftskrise statt Olympia-Boom

Von WZ-Korrespondent Felix Lill

Wirtschaft

Ein verspäteter Impfstart hat Japans ökonomische Misere vertieft. Nun droht eine neue Rezession. Denn auch die in eineinhalb Monaten vermutlich startenden Olympischen Spielen werden kaum Geld einspielen, dafür umso mehr kosten.


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Die Nachrichten von Mitte Mai waren so schlecht, wie man es nur hätte befürchten können. Um 5,1 Prozent sackte Japans Volkswirtschaft im ersten Quartal ein. Verglichen mit dem Vorjahreszeitraum hat der private Konsum, der mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, um 1,4 Prozent abgenommen. Auch eine leichte Zunahme der Exporte konnte das deutliche Minus für die gesamte Wirtschaft nicht verhindern.

Und das war nicht alles. Über das ganze Jahr 2020 ist, wie man seitdem weiß, die japanische Wirtschaft um real 4,6 Prozent geschrumpft. Dies markiert die stärkste Abnahme seit Beginn der statistischen Messungen im Jahr 1955. Nicht einmal während der Finanzkrise ab 2008, als diverse Großbanken pleitegingen, brach die Wirtschaft in Japan derart stark ein. Zudem ist es schon das zweite Jahr in Folge, in dem das ostasiatische Land nach Abzug der Inflationsrate negatives Wachstum verzeichnet.

In diversen Ländern der Welt hat die Pandemie auch ökonomisch für tiefe Einschnitte gesorgt. In Japan aber ist diese Gewissheit besonders ernüchternd. Denn hätte es keine Corona-Krise gegeben, so hatte es die Regierung über die vergangenen Jahre hinweg immer wieder versprochen, dann wäre 2020 zu einem absoluten Boom-Jahr geworden. Die Olympischen Spiele sollten die ganze Welt ins Land bringen. Ein Rekordwert von 40 Millionen Auslandstouristen war angepeilt und damit ein vom Fremdenverkehr befeuerter Aufschwung. Doch dann fielen die Besucherzahlen schnell auf null.

Zunächst nur milde Maßnahmen gegen das Coronavirus

Nun könnte für die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt wieder eine Rezession bevorstehen. Dabei hatte man die Pandemie vor nicht allzu langer Zeit schon für ökonomisch weitgehend überwunden gehalten. Als das Coronavirus Anfang 2020 auch Japan früh traf, blieben die Maßnahmen dagegen stets milde. Die Aufrechterhaltung wirtschaftlicher Aktivität genoss von Anfang an hohe Priorität. So mussten Restaurants oder Karaokebars kaum schließen, sollten sich aber an strengere Regeln halten und zum Beispiel auf Alkoholausschank am Abend verzichten.

Und lange Zeit schien es, als würde das bloße Appellieren an eine möglichst kooperative Gesellschaft, die das Maskentragen und berührungslose Grüßen gewohnt ist, auch funktionieren. Bis jetzt zählt Japan insgesamt nur rund 770.000 Infektionsfälle mit dem Coronavirus, etwa 14.000 sind gestorben - auf eine Bevölkerungszahl von 126,5 Millionen sind dies geringe Werte. Dennoch sind im demografisch alternden Japan die Spitäler längst überlastet. In Osaka mussten Patienten, die eine Intensivversorgung benötigt hätten, bereits nach Hause geschickt werden, weil es an Kapazitäten fehlte.

Dieser Kollaps des Gesundheitssystems naht derzeit auch in Tokio. So musste die Regierung den momentan in den größten Metropolregionen des Landes geltenden Ausnahmezustand, der eine Art sanften Lockdown erwirkt, schon mehrmals verlängern und ausweiten. Derzeit gilt er bis 20. Juni. Damit bleiben auch die Möglichkeiten zu einer raschen wirtschaftlichen Erholung begrenzt.

"Japans Regierung hat in der Corona-Politik versucht, gleichzeitig aufs Gas und auf die Bremse zu treten", kritisiert Katsuhiro Miyamoto, Ökonomieprofessor an der Kansai Universität in Osaka. "Klüger wäre es gewesen, möglichst früh zuerst auf die Bremse zu treten, die gesundheitspolitische Lage in den Griff zu bekommen, und erst danach wieder das Gas zu betätigen." Tatsächlich ist das Gegenteil geschehen. Ende 2020 versuchte Premier Yoshihide Suga, den Ausfall des ökonomisch bedeutenden Auslandstourismus dadurch zu kompensieren, dass inlandstouristische Reisen subventioniert wurden. Als daraufhin die Infektionsfälle anstiegen, setzte die Regierung die kontroverse Kampagne bis auf Weiteres wieder aus.

Kaum 5 Prozent der Japaner sind vollständig geimpft

Die wirtschaftspolitische Belebung fällt allerdings auch deshalb schwer, weil Japan beim Impfen deutlich hinter anderen Ländern liegt. Angesichts weit verbreiteter Impfskepsis im Land führten die Behörden ab Ende vorigen Jahres noch zusätzliche Tests durch, ehe sie die Vakzine von Biontech/Pfizer genehmigten und erst Ende Februar mit den ersten Impfungen begannen. Bis jetzt sind kaum 5 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, was maßgeblich Arzt- und Pflegepersonal betrifft.

Erst seit Ende Mai konnten sich ältere Personen für die ersten Masseimpfungen anmelden, die kommende Woche beginnen sollen. Kurz zuvor wurden auch erst die Impfstoffe von Moderna und AstraZeneca genehmigt. Ob Japan über die nächsten Wochen aber eine Impfquote erreichen wird, die einem weiteren Ausnahmezustand während der Folgemonate vorbeugen kann, ist derzeit ungewiss. Die Olympia-Organisatoren in Tokio wollen bis zur Eröffnung der Spiele am 23. Juli 18.000 Mitarbeiter gegen geimpft haben und haben eigens ein neues Impfzentrum eingerichtet.

Wie schnell die nun anrollende Impfkampagne Wirkung zeigt, hängt denn nicht nur vom schnellen Handeln bisher äußerst langsamer Behörden ab. Auch die pünktliche Lieferung von Impfstoffen aus dem Ausland ist von zentraler Bedeutung - wie man in der Europäischen Union zu Jahresbeginn schmerzlich erfahren musste. Angesichts all dieser Unsicherheiten halten es derzeit mehrere Analystenbüros für gut möglich, dass Japans Wachstum auch im zweiten Quartal negativ ausfallen wird.

Olympia gilt nicht mehr als Wachstumsmotor

Wie so oft in den vergangenen Jahren würde der ostasiatische Industriestaat damit in eine Rezession rutschen. Dass die Olympischen Spiele zum Wachstumsmotor werden, wird mittlerweile auch nicht mehr behauptet. In eineinhalb Monaten, ab dem 23. Juli, soll die größte Sportveranstaltung der Welt in der Hauptstadt Tokio starten. Gegen anfangs große Skepsis versprachen die Organisatoren schon direkt nach Verleihung des Austragungsrechts im Herbst 2013, dass Olympia einen ökonomischen Boom bringen würde. Dabei fiel bald auf, dass die Veranstalter für dieses Versprechen kreative Kalkulationen vorgelegt hatten.

Wie so oft bei Olympischen Spielen wurden auch im Falle Japans zunächst die Kosten kleingerechnet. Bei der Bewerbung für Olympia 2020 war noch von umgerechnet 6,6 Milliarden US-Dollar die Rede. Durch öffentliche Mittel sollten nur Investitionskosten wie jene für Stadien finanziert werden. Ein Großteil aber würde über private Sponsoren laufen. Viele in Japan glaubten daran - bis zwei Jahre später, als das Budget schon doppelt so hoch lag, eine Budgetkommission die Kosten auf 30 Milliarden Dollar schätzte.

Die zu erwartenden Einnahmen wurden aufgebläht

Dem Ökonomen Miyamoto fiel zudem auf, dass die Organisatoren auch die zu erwartenden Erträge von Tokio 2020 gehörig aufgebläht hatten. "Im Gegensatz zu den Olympischen Spielen davor - in London, Peking und Rio - hat Tokio auch Effekte mitreingerechnet, die mit Olympia eigentlich nichts zu tun haben: zum Beispiel die Etablierung von 5G-Internet, Automatisierung und so weiter. So kamen sie auf Erträge von rund 32 Milliarden Dollar." Miyamoto schätzt die direkten ökonomischen Effekte von Olympia auf ein Viertel davon.

So wären die Spiele von Tokio je nach Rechenweise schon vor der Corona-Pandemie ein deutliches Verlustgeschäft geworden. Inmitten steigender Infektionszahlen mussten die Organisatoren die größte Sportveranstaltung der Welt dann im März 2020 um ein Jahr auf Sommer 2021 verschieben. Dies führte zunächst zu Zusatzkosten von rund 3 Milliarden Dollar. Und aus Gründen des Infektionsschutzes sind Zuschauer aus dem Ausland längst ausgeschlossen, was auch die Erlöse drücken wird.

Kaum noch jemand in Japan will Olympia in Tokio

Dies ist ein wichtiger Grund, warum kaum noch jemand im Land die Olympischen Spiele will. In Umfragen geben seit Monaten rund 80 Prozent an, dass sie gegen die Spiele diesen Sommer sind. Dabei sorgt auch das Infektionsrisiko, das mit dem Sportevent einhergeht, für Ärger. So haben schon mehrere Gesundheitsexperten und sogar Regierungsberater ihre Zweifel geäußert, dass sich die Olympischen Spiele austragen lassen, ohne dass dabei weiterer Druck auf das Gesundheitssystem ausgeübt wird, das ohnehin schon auf einen Kollaps zusteuert.

In Japans heißen und schwülen Sommern kämpfen die Krankenhäuser angesichts häufiger auftretender Hitzeschläge schließlich auch in nicht-pandemischen Jahren mit einer erhöhten Auslastung. Die Olympia-Organisatoren und die Regierung verweisen aber auf ihr vermeintliches Ass im Ärmel: die nun angerollte Impfkampagne. Eine Million Menschen sollen pro Woche geimpft werden. Nur wird diese Zahl bisher nicht erreicht. Das liegt einerseits daran, dass es im Land akut an geschultem Gesundheitspersonal mangelt, das die Impfungen verabreichen könnte.

Ein weiteres Problem ist die weiter bestehende Impfskepsis im Land. So werden viele Angebote für Senioren im Land bisher nicht wahrgenommen. Sollte diese Abneigung gegenüber den Corona-Vakzinen bestehen bleiben, wird es nicht nur mit sicheren Olympischen Spielen umso schwieriger. Auch ein rascher ökonomischer Aufschwung wird sich dann weiter verzögern.