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Wirtschaftspolitik über die Grenzen hinaus

Von Rosa Eder

Wirtschaft

Der Chef des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), Helmut Kramer, findet es nicht gut, dass jedes einzelne EU-Land in der Budget- und Konjunkturpolitik sein eigenes Süppchen kocht. "Die Impulse verpuffen über die Grenzen", sagte Kramer gestern im Klub der Wirtschaftspublizisten. Damit Europa seine strukturellen Probleme in den Griff bekomme, müsste es schon gemeinsame Anstrengungen geben.


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Konkret regte Kramer die Schaffung eines in der Verfassung verankerten, unabhängigen "Weisenrats" auf europäischer Ebene an, der die konjunkturelle Lage in den einzelnen Ländern öffentlich beurteilen und Empfehlungen für gemeinschaftliche Aktionen an die Kommission abgeben soll. Kramer könnte sich vorstellen, dass dafür ein Budget von etwa 1% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der EU zur Verfügung stehen. Bei einem jährlichen BIP pro Kopf von 11.000 Euro und 470 Millionen Einwohnern wären das rund 4,7 Mrd. Euro jährlich, rechnete der Chef des Wifo vor. Die Kommission sollte - quasi als "Exekutive" - für die Durchführung der konkreten Projekte, etwa in den Bereichen Infrastruktur oder Forschung & Entwicklung, verantwortlich zeichnen.

Die neue Institution sollte aus fünf bis sieben Mitglieder bestehen, die für mindestens sechs Jahre ernannt werden - ohne die Möglichkeit einer Wiederbestellung, wie dies auch bei der Europäischen zentralbank (EZB) der Fall ist. Kramer hält nichts davon, dass in diesem Expertenrat Wirtschaftsprofessoren sitzen. "Es müsste schon jemand sein, der auch politische Erfahrung hat", betonte er.

Nach Meinung Kramers gehören außerdem der Wachstums- und Stabilitätspakt mit den Zielen von Lissabon, wonach die EU bis 2010 die wettbewerbsfähigste, wissensbasierte Region der Welt werden will, in Verbindung gebracht: "Man kann diese Dinge nicht voneinander trennen."

Prognosen für Europas Wirtschaft seien derzeit schwierig, sagte Kramer. Alles drehe sich um die Frage: "Kommt die Inlandsnachfrage rechtzeitig in Gang, bevor sich die Exporte abschwächen?" Die Einschätzung für Österreich dürfte für das heurige Jahr unverändert bei real 1,9% bleiben, so Kramer. Auf eine Prognose für 2005 wollte er sich nicht einlassen. Zuletzt hatte das Wifo für das kommende Jahr einen BIP-Anstieg von 2,5% erwartet. Die nächste Prognose wird in alter Tradition kurz vor Weihnachten veröffentlicht.

Wie berichtet läuft derzeit das Auswahlverfahren für die Nachfolge von Kramer. Er hatsich bereit erklärt, noch so lange im Amt zu bleiben, bis ein neuer Chef für das Wifo gefunden ist. Bis Jahresende soll eine "shortlist" aus den bestqualifizierten Bewerbern erstellt werden.