Öffentliche Anteilseigner haben in der Infrastruktur einen viel längeren Atem als private.
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Als 2007 der Finanzsektor die ganze Weltwirtschaft in die Krise riss, besann man sich der Bedeutung der Realwirtschaft. Vor allem die stabilisierende Rolle der Industrie für die Volkswirtschaft wurde wieder sehr betont. Die Exzesse der internationalen Finanzkrise und deren folgenden Verwerfungen ließen auch Tiefgläubige an den unsichtbaren Händen des Marktes zweifeln.
Dieser Prozess sollte schön langsam auch die Entscheidungsträger der österreichischen Wirtschaftspolitik erreichen. Die standortpolitisch essenzielle Rolle als strategischer Konzernaktionär wurde seitens der Republik zuletzt immer öfter vernachlässigt oder gar aufgegeben. Die volkswirtschaftliche "Blutspur" zieht sich von der Austria Tabak über die Buwog bis neuerdings zur Telekom. Ein ausverhandelter Deal zur Übernahme der Voest durch Magna blieb seinerzeit aufgrund des öffentlichen Drucks unvollendet. Heutzutage stehen Spekulationen zur weiteren Entwicklung der OMV im Raum, und leider fehlen auch hier klare Bekenntnisse zur Rolle der Republik Österreich als strategischer Kernaktionär.
Man kann sich wahrscheinlich langatmige Ausführungen zur Bedeutung strategisch wichtiger Infrastrukturunternehmungen für das Land ersparen. Dennoch sei es ausgesprochen: Wenn der relevante öffentliche Anteil an den großen österreichischen Energieunternehmungen, an den öffentlichen Verkehrsunternehmungen und Infrastrukturkonzernen aufgegeben werden sollte, dann fehlt jedwedes Instrumentarium für noch verbliebene wirtschaftspolitische Spielräume des Landes. Strategische Grundsatzentscheidungen wie etwa die Frage, wo in Hinkunft die Unternehmenszentrale oder standortpolitisch bedeutsame Forschung- und Entwicklungsaktivitäten stattfinden, könnten dann außerhalb Österreichs mit geringen Neigungen für Rot-Weiß-Rot fallen.
Erfolgreiche Industrie braucht gut ausgebaute Infrastruktur
Eine unbedingte Voraussetzung für eine erfolgreiche Industrie ist eine gut ausgebaute Infrastruktur. Die Investitionsprogramme in öffentliche Infrastrukturprojekte haben nicht nur langfristige Modernisierungseffekte für Österreich gebracht, sondern auch handfeste kurzfristige Auslastungs- und Beschäftigungswirkungen bei klein- und mittelbetrieblichen Zulieferern der großen Leitbetriebe bewirkt. So bringt etwa das Investitionsprogramm der ÖBB in die Bahninfrastruktur einen jährlichen Wachstumseffekt von 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Viele der wichtigen Infrastrukturinvestitionen rechnen sich betriebswirtschaftlich - wenn überhaupt - erst in Jahrzehnten oder in einem Jahrhundert. Welcher private Investor hat diesen langen Atem? Die öffentliche Hand denkt hier langfristiger und vor allem volkswirtschaftlicher.
Erwähnt werden müssen auch die aktuellen wirtschaftlichen und technologischen Herausforderungen. Die Digitalisierung wird das Wirtschaftsleben völlig neu ordnen - Stichwort Industrie 4.0. Roboter, Internet der Dinge und 3D-Drucker sind die Ingredienzien einer revolutionierten Arbeitswelt, in der viele bisherige Berufsbilder verschwinden, neue aber entstehen werden. Dies alles erfordert ganz neue Qualifikationen und kulturelle Fähigkeiten, auf die unser Bildungssystem, das nach wie vor auf Qualifikationsanforderungen des 19. Jahrhunderts fußt, nur ungenügend vorbereitet ist. Weder starre Arbeitszeitregelungen noch die geografische Lokalisierung werden in Zukunft relevant sein.
Das bedeutet nicht nur für die Sozialpartner gewaltige Herausforderungen, denen man nicht mit maschinenstürmerischen Abwehrreflexen beikommen wird können. Für diese Umwälzungen muss sich auch die Industrie- und Wirtschaftspolitik entsprechend einstellen. Der Erfolg, wie diese Umwälzungen bewältigt werden, hängt davon ab, wie tiefgründig die Politik Megatrends und tektonische Verschiebungen zu lesen und zu antizipieren versteht. Grundvoraussetzung dafür sind intensives Interesse, Trendscouting und permanenter Dialog mit allen relevanten Wirtschaftsakteuren.
Politik sollte schon heute entsprechend aktiv werden
Letztlich sollten die politischen Rahmenbedingungen schon heute entwickelt werden: durch eine Modernisierung der Infrastruktur (Zugang zur digitalen neuen Welt für alle Bürger, Breitband-Offensive, neue modale Mobilität, Smart Grids etc.), eine Dynamisierung des Bildungs- und Forschungsengagements (auch hinsichtlich der Migrationswellen entscheidend) und schließlich ein dezidiertes Set an Regulierungsregimes, um die Real- vor der Finanzwirtschaft zu priorisieren. Außerdem muss die Wirtschaftspolitik den begonnen Weg der Energiewende, der ja durch die UN-Klimakonferenz in Paris mit dem verpflichtenden Zeitplan zur Klimaneutralität bis 2050 kräftige Schubkraft bekommen hat, kräftig beschleunigen.
Welche Innovationen müssen dazu in Österreich forciert werden? All diese Fragestellungen sind entscheidend für die Entwicklung unserer Wohlstandsstandards und damit auch für die soziale und politische Stabilität des Landes. Es ist daher nicht unwesentlich, wer bei diesen wirtschaftspolitischen Rahmensetzungen als Anteilseigner Interessen und Perspektiven einbringen kann.
Zur Autorin
Brigitte Ederer
war SPÖ-Politikerin, Vorstandsmitglied bei Siemens und Aufsichtsratsmitglied der ÖIAG sowie EU-Staatssekretärin im Bundeskanzleramt vor dem EU-Beitritt. Aktuell ist sie Aufsichtsratsvorsitzende der ÖBB und sitzt in den Aufsichtsräten von Boehringer Ingelheim, Infineon, Schoeller-Bleckmann und der Wien Holding.