Zum Hauptinhalt springen

Wirtschaftspotenzial Österreichs wird erheblich unterschätzt

Von Anton Kausel

Wirtschaft

Neueste revidierte Wirtschaftsdaten der OECD widerlegen endgültig die seit Mitte der 90er Jahre vertretene These von einem schleichenden Verlust an ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit Österreichs in der westlichen Welt. Der beklagte Abschied von der "Überholspur" hat de facto nie stattgefunden. Diese kleinmütige Version befand sich zwar schon bisher in einem eklatanten Widerspruch zur überlegenen industriellen Dynamik Österreichs - die seit dem EU-Beitritt (1995) jene der EU um das Doppelte und jene der expansiven USA um die Hälfte übertraf -, wurde aber dennoch kaum angezweifelt. Die Generalrevision der OECD stellt demgegenüber die verlorene Konsistenz zwischen Industrie und Gesamtwirtschaft wieder her.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Revision der Wachstumsraten ergab für die gesamte Dekade 1990/2000 eine jährliche Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von sehr guten 2,5% (Europäische Union: 2,1%).

Auf Pro-Kopf-Basis zu Kaufkraftparitäten sprang dadurch der reale Vorsprung Österreichs vor der EU von bisher 10% schlagartig auf 13%, und der Niveauabstand der USA vor Österreich schrumpft gleichzeitig dramatisch von 36% auf 27%.

Trotz der von außen aufgezwungenen Konjunkturschwäche (in den Jahren 2001/2002) änderte sich an diesen stark verbesserten Relationen bis heute nichts. Vielmehr wurde zuletzt sogar wieder zu Kanada und Holland aufgeschlossen. Die Musterländer Finnland und Schweden können ihren Rückstand hinter Österreich von etwa 10% nicht mehr verringern. Der eroberte hohe Rang in der Spitzengruppe der internationalen Wohlstandshierarchie scheint bis auf weiteres so gut wie ungefährdet. Diese komfortable, fundamentale Konstellation relativiert den derzeit enttäuschenden Wachstumseinbruch auf jeweils kaum 1% in den vergangenen beiden Jahren, der von der Tagespolitik unangemessen dramatisiert wird. Kurzlebige Konjunkturdellen kommen und gehen - gesunde Strukturen aber bleiben bestehen.

Preisstabilität

Das klassische Postulat der Preisstabilität verwirklicht Österreich schon seit 50 Jahren nahezu optimal. Innerhalb der EU erreicht es seit 1995 mit einer Preisrate von nur 1,5% p.a. (EU: 2,0%) Rang zwei und innerhalb der gesamten OECD Rang vier. Hohe Produktivität und eine sozial ausgewogene, konfliktfreie Einkommenspolitik garantieren schon seit 1952 eine weltweit beneidenswerte Preisentwicklung.

Arbeitsmarkt

Auch unsere vorübergehend angespannte Arbeitsmarktlage findet weltweit kaum noch erstrebenswertere Vorbilder, weder in Skandinavien noch im Teilzeitarbeits-Paradies Holland. Die aktuelle Tagesdiskussion ist einseitig nur auf quantitative Aspekte der Arbeitslosigkeit fixiert und verdrängt bewusst oder unbewusst die viel wichtigere und aussagekräftigere qualitative Analyse. Die optisch beunruhigende Winterspitze von 300.000 Arbeitslosen verzerrt die Realität auf unseriöse Weise, weil genau die Hälfte davon kurzfristige Saisonarbeitslose mit garantiertem Arbeitsplatz sind, die in der Regel in der toten Saison gar nicht vermittelt werden wollen. Dazu kommt, dass die mittlere Dauer der Arbeitslosigkeit immer kürzer wird und seit 1999 von sieben Monaten auf vier Monate kräftig gesunken ist, weil nur jeder Zwanzigste hierzulande als Langzeitarbeitsloser vorgemerkt ist.

Die Arbeitsmarktprobleme können zwar nicht verniedlicht werden, sie sind aber aus qualitativer Sicht wesentlich harmloser als aus quantitativer. Immerhin liegt die EU-konforme Arbeitslosenrate von 4,1% noch immer in greifbarer Nähe der Vollbeschäftigung (3%) und damit weltweit in einer beneidenswerten Spitzenposition.

Leistungsbilanz

Was seit Jahrzehnten wegen angeblicher Strukturschwächen, Grundstofflastigkeit, Forschungsdefiziten u.s.w. noch unvorstellbar schien, ist urplötzlich Realität geworden: die Aktivierung der seit Jahrzehnten chronisch defizitären Handelsbilanz im Ausmaß von rund 5% des BIP seit 1955. Erstmalig kam es im Vorjahr zu einem sensationellen Überschuss der Handelsbilanz, der einschließlich der traditionell aktiven Dienstleistungsbilanz zur Sanierung der gesamten Leistungsbilanz führte. Wenn auch der Importrückgang den Erfolg derzeit etwas überzeichnet, so liegt die Wurzel dieser radikalen Trendwende eindeutig in der nahezu permanent wachsenden Exportdynamik, die nunmehr in der höchsten Exportquote am BIP sowie im höchsten österreichischen Weltmarktanteil aller Zeiten im Warenexport kulminiert. Österreich gehört daher dank überdurchschnittlich raschem Strukturwandel, zügiger Modernisierung, sowie dank der günstigen Lohn-Stückkosten seit 50 Jahren nach Irland und Finnland zu den drei erfolgreichsten Export- und Industrienationen im OECD-Raum.

Staatshaushalt

Gemäß Stabilitätspakt der EU besteht für alle Mitgliedsländer die Verpflichtung, die Staatsschuld unter dem erlaubten Limit von 60% des BIP zu halten und im Rahmen eines Konjunkturzyklus keine neue Verschuldung zuzulassen. Beiden Anforderungen kam Österreich zuletzt ziemlich nahe, weil der restriktive Budgetkurs schon seit 1995 gut gegriffen hat. Das Staatsdefizit wurde seither von 5% (des BIP) auf Null (2001) reduziert und die Schuldenquote von 69% auf 62% deutlich abgesenkt. Zum erlaubten Limit fehlen demnach nur noch 2 Prozentpunkte. Generell wird das Budgetproblem schon seit jeher offenbar gezielt überdramatisiert.

Die Staatsschuldenquote hat auch in der Vergangenheit den EU-Durchschnitt niemals überschritten, und die Defizite waren stets aus der hohen inländischen Sparquote leicht finanzierbar. Die an sich niedrige Auslandsverschuldung war immer nur wegen ihrer niedrigen Verzinsung interessant. Für 2002 und 2003 droht konjunkturbedingt allerdings wieder eine Verschärfung der Finanzlage, die freilich durch den nunmehr geschaffenen Spielraum leichter aufgefangen werden kann als in den meisten anderen Ländern.

Schlussfolgerungen

Die vergleichsweise großen Erfolge in allen klassischen Wirtschaftsbereichen wie Wirtschaftswachstum, Preisstabilität, gute Arbeitslage, problemlose Leistungsbilanz sowie gesunde Staatsfinanzen ("Magisches Fünfeck"), die es in der Vergangenheit in dieser Perfektion noch nie gegeben hat, machen die 90-er Jahre, nicht wie bisher unterstellt wurde zur schwächsten, sondern de facto zur erfolgreichsten Dekade überhaupt. Nie zuvor war es nämlich gelungen, trotz restriktiver Finanzpolitik alle klassischen Wirtschaftsziele (siehe oben) gleichzeitig und ohne nennenswerte Wachstumseinbußen zu erfüllen.

Einziger Wermutstropfen: eine temporäre Vernachlässigung von wichtigen Investitionen in die Infrastruktur. Mussten früher überdurchschnittlich hohe Wachstumsraten oft nur durch expansive Finanzspritzen stimuliert werden, so gelingt dies heute eleganter durch fundamentale Stärke. Soweit die materielle Sicht.

Die immateriellen Werte verdienen vielleicht noch größere Beachtung. Unser materieller Wohlstand wird ergänzt durch höchste Lebensqualität in Form von sozial verträglicher Einkommensverteilung, beste Gesundheits- und Altersvorsorge, längere Lebenserwartung, beste Umweltqualität, niedrige Kriminalität und anderes mehr. Dass hohe Lebensqualität nicht kostenlos bereitgestellt werden kann, sollte in der heißen einseitigen Diskussion um öffentliche Aufgaben und deren Finanzierung wohl etwas stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt werden. Hohe Lebensqualität für alle und niedrige Sozialquote schließen einander aus.

Professor Dr. Anton Kausel leitete von 1956 bis 1973 die Abteilung Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und Öffentliche Finanzen im Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Anschließend war er im ÖSTAT tätig. Von 1981 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1984 bekleidete er dort das Amt des Vizepräsidenten.