Zum Hauptinhalt springen

Wirtschaftssanktionen funktionieren nicht

Von Heinz Gärtner

Gastkommentare
Heinz Gärtner ist Lektor an den Universitäten Wien und Krems. Er ist Vorsitzender des Beirates des International Institute for Peace (IIP) in Wien sowie des Beirates Strategie und Sicherheit der Wissenschaftskommission des Österreichischen Bundesheeres. Er war langjähriger wissenschaftlicher Direktor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik und an den Universitäten Stanford, Oxford, Johns Hopkins in Washington und in Deutschland tätig.
© IIP

Sie verursachen viel Leid in der betroffenen Bevölkerung, aber politische Ziele werden damit in der Regel nicht erreicht.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Seit einigen Jahrzehnten werden wirtschaftliche Sanktionen von der Politik als wirksames Interventionsinstrument angesehen. Alte internationale Abkommen und Verträge werden gekündigt, keine neuen verhandelt. Sie werden zunehmend ersetzt durch Sanktionspolitik. Sanktionen haben sich nach dem Ende des Kalten Krieges vervielfacht. Die USA haben gegenwärtig rund 8.000 (!) Sanktionen verhängt, davon alleine 2.000 über den Iran. Sie sollen Verhaltungsänderung erreichen oder Regime stürzen.

Sanktionen sind jedoch höchst ungeeignet, um politische Ziele zu erreichen. Manche Studien sprechen zwar von bis zu 30 Prozent Erfolgsrate, es ist aber nicht klar, welche anderen Faktoren das Ergebnis entscheidend beeinflusst haben. Als Beispiel wird gerne das Ende der Apartheid in Südafrika Mitte der 1990er Jahre genannt. Allerdings dürfte die innenpolitische Stärkung der Widerstandsorganisation ANC die Hauptrolle gespielt haben und nicht die von der Europäischen Gemeinschaft 1986 beschlossenen Beschränkungen von Investitionen in Südafrika und von Eisen-, Stahl- und Goldmünzenimporten aus Südafrika; die umfassenden Kohleimporte wurden nicht sanktioniert.

Legt man einen direkten Ursache-Wirkung-Maßstab an, gab es in den vergangenen Jahrzehnten gerade zwei sehr spezifische erfolgreiche Beispiele: Nach dem Lockerbie-Anschlag auf ein Pan-Am-Flugzeug 1988 mit 270 Toten hat Libyens Machthaber Muammar Gaddafi den Attentäter 1999 aufgrund von Sanktionen der Vereinten Nationen ausgeliefert. Und Nepal hat den Waffenkauf aus China wegen indischer Sanktionen 1989 eingestellt.

Von Befürwortern von Sanktionen wird deren Wirksamkeit angeführt, wenn sie wehtun. Sanktionen haben tatsächlich vielfältige Auswirkungen auf den Zielstaat: Schwächung der Wirtschaft, Vergrößerung der Armut, Verschlechterung der medizinischen Versorgung, Stärkung autoritärer Tendenzen, Einschränkung der Menschenrechte - politische Erfolge sind damit aber nicht verbunden.

Sanktionen können sogar das Gegenteil ihres Zieles bewirken

Länder, die seit Jahren und Jahrzehnten davon betroffen sind, haben weder ihr Verhalten noch das Regime geändert. Kuba, der Iran oder Venezuela sind durch Sanktionen nicht USA-freundlicher geworden. Die Bevölkerungen sind aber oft schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Nach acht Jahren Sanktionen hat Russland seine Wirtschaft angepasst. Weitere Sanktionen auf Gaslieferungen werden es veranlassen, Gas dem energiehungrigen China zu verkaufen und vermehrt Märkte in der Eurasischen Union zu suchen.

Weder Russland noch China, das ebenso sanktioniert ist, sind liberaler oder demokratischer geworden. Untersuchungen der Universitäten Memphis, Missouri und Brown kamen zu dem Ergebnis, dass Länder, die unter langjährigen Sanktionen standen, in den statistischen Reihungen autoritärer wurden und im Menschenrechtsindex dramatisch zurückfielen, im Korruptionsindex aber aufstiegen.

Sanktionen bringen nicht Reformen und Verbesserungen der Menschenrechte. Im Iran setzten im Gegenteil neue Sanktionswellen ein, nachdem und nicht bevor Reformkandidaten gewählt worden waren, wie Mohammad Khatami 1997 und Hassan Rouhani 2013; danach wählten die Iraner mit Mahmud Ahmadineschad und Ebrahim Raisi jeweils isolationistische Präsidenten, die versprachen die Resilienz-Wirtschaft zu stärken.

Durch Sanktionen werden oft Kriege vorbereitet

Sanktionen wird zugeschrieben, dass sie Kriege verhindern. Das Gegenteil ist der Fall. Durch Sanktionen werden oft Kriege vorbereitet. Um Sanktionen zu rechtfertigen, wird der Zielstaat dämonisiert und Kriegsrhetorik angeschlagen. Gerade, weil Sanktionen ihr Ziel nicht erreichen, will der sanktionierende Staat sein Gesicht wahren und greift oft zu gewaltsamen Maßnahmen, wie zum Beispiel die USA gegen den Irak 2003. Und als der Iran den US-Forderungen nach Einstellung seines Nuklear- und Raketenprogrammes nicht nachkam, überlegte US-Präsident Donald Trump mindestens zweimal - erst nach dem Abschuss einer US-Drohne 2019 an der Küste des Iran und dann mit der Ermordung des iranischen Generals Soleimani 2020 durch die USA - den Iran militärisch anzugreifen.

Sanktionen sollen angeblich auch die nukleare Proliferation einschränken. Sie haben aber die Entwicklung von Nuklearwaffen nicht verhindert, wie die Beispiele Indien, Pakistan und Nordkorea zeigen. Im Falle Indiens und Pakistan wurden die unter der Resolution 1172 des UN-Sicherheitsrates von 1998 verhängten Sanktionen stillschweigend fallen gelassen. Und der Iran hat nach der Verhängung der schwersten Sanktionen in der Folge der Kündigung des Atomabkommens durch die USA 2018 sein Nuklearprogramm schrittweise erweitert. Auch die am meisten regierungskritischen Iraner sahen, dass nicht ihre Führer die Aufhebung der Sanktionen verhinderten, sondern US-Präsident Trump.

Millionen werden in die Armut gedrängt

Sanktionen werden auch gerne als "intelligent" und "zielgerichtet" verharmlost. Tatsächlich werden durch sie Millionen Menschen in die untere Mittelschicht und in die Armut gedrängt. Zum Beispiel kamen mit den Wirtschaftssanktionen nach 2018 auch um 40 Prozent weniger lebensnotwendige Medikamente, vor allem zur Krebsbekämpfung, in den Iran.

Sanktionen bringen in der Regel nicht den erhofften politischen Erfolg. Sie sind auch nicht eine liberale Alternative zu militärischer Gewalt, sondern verursachen Leid in der Bevölkerung. Das bedeutet nicht, dass Krieg die erfolgreiche Alternative zu Sanktionen wäre, wie die nicht nur die Kriege in Vietnam, Somalia, Irak und Afghanistan gezeigt haben. Die Alternativen sind politisch-diplomatisch, auch wenn sie oft lange dauern und einige Kreativität erfordern.