Wenn die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten heute zu einem zweitägigen Treffen in Brüssel zusammenkommen, stehen die Themen Asyl und Migration sowie der Rückstand der EU-Wirtschaft im so genannten Lissabon-Prozess auf der Tagesordnung. Doch Gespräche über die Umbildung der EU-Kommission werden nicht ausbleiben.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Jose Manuel Barroso wollte gestern zwar nichts sagen. Doch die Erwartungen steigen, dass der designierte EU-Kommissionspräsident am Rande des heute beginnenden EU-Gipfels sein neues Team bekannt gibt. Barrosos Sprecherin wollte dies nicht bestätigen, ebenso wenig die Frage beantworten, ob neben Rocco Buttiglione und Ingrida Udre weitere Kandidaten ausgetauscht werden. Möglicherweise erhält der neue künftige lettische Kommissar Andris Piebalgs das Energieressort zugewiesen, und der umstrittene ungarische Kandidat, Laszlo Kovacs, wird stattdessen für Steuern und Zölle zuständig.
Die niederländische EU-Ratspräsidentschaft erhofft sich jedenfalls eine baldige Bekanntgabe der neuen Kommission. Die Anhörungen der neuen Kandidaten könnten bereits am Montag beginnen, erklärte EU-Parlamentspräsident Josep Borrell.
Abstieg in zweite Liga?
Doch im Vordergrund des EU-Gipfels steht die Debatte um das Erreichen der so genannten Lissabon-Ziele. Von diesen ist die Europäische Union nämlich noch weit entfernt. Darauf weist auch ein Expertenbericht hin, den der frühere niederländische Premier Wim Kok heute den Staats- und Regierungschefs präsentiert. Schon gestern hat Kok die EU-Staaten und die Kommission zu entschiedenen Reformanstrengungen aufgerufen. Andernfalls könnte die EU in die zweite Liga der Weltwirtschaft absteigen. Denn Europa hat seit Anfang der 80er-Jahre nicht mehr die Wohlstandslücke zu den USA verringern können. Auch Ziele wie eine Beschäftigungsrate von 70 Prozent oder ein Anteil an älteren Beschäftigten von 50 Prozent sind in den USA Realität und in der EU noch nicht erreicht.
Dass die Lissabon-Ziele zu einem "peinlichen Witz" zu werden drohen, stellte bereits vor wenigen Wochen eine Studie des European Forecasting Network, einer Vereinigung europäischer Prognoseinstitute, fest. Denn auch mitten im weltweiten Wirtschaftsaufschwung bleibe die Eurozone der am wenigsten dynamische große Wirtschaftsraum.
Umsetzung mangelhaft
Die Umsetzung der Ziele geht in vielen EU-Staaten nur langsam voran. In Österreich zeigt sich Bundeskanzler Wolfgang Schüssel dennoch optimistisch. Die Zielsetzungen einer Flexibilisierung der Arbeitswelt, die Einschätzung der EU-Erweiterung als Chance, die Vermeidung von Bürokratisierung und nationale Aktionspläne entsprechen den österreichischen Vorstellungen, betonte er gestern in Wien.
Das Forcieren der Lissabon-Strategie hatte auch der designierte Kommissionspräsident Barroso angekündigt. Doch sei das Ziel der Union, die USA als Wirtschaftsmacht zu überholen, bis 2010 wohl nicht mehr zu erreichen, wie Wim Kok berichtet.
Europäisches Asylamt
Bis 2010 will die EU auch eine weitere Strategie Realität werden lassen: das "Haager Programm". Dieses soll Gemeinsamkeit bei Asyl- und Migrationsfragen schaffen und am Freitag beschlossen werden. Vorgesehen sind die Einrichtung eines europäischen Asylamtes, die gemeinsame Bewachung der EU-Außengrenzen sowie Zuwanderung nach Bedarf des Arbeitsmarktes. Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit über die Zuwanderung wird es jedoch vorerst nicht geben. Österreich besteht wie Deutschland, die Slowakei und Estland auf Einstimmigkeit.