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"In der Politik geht es nicht mehr um Ideen, sondern um Management."
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"Wiener Zeitung": Sie forschen vor allem zur Außen- und Verteidigungspolitik der USA und Großbritanniens. Gibt es Parallelen, wie mit Risiken im wirtschaftlichen und im militärischen Bereich umgegangen wird?Christopher Coker: In beiden Bereichen wird versucht, Risiken zu marginalisieren. Im militärischen Bereich müssten wir uns Exit-Strategien überlegen, bevor wir überhaupt intervenieren. Wir intervenieren aber aufgrund kurzfristiger Spekulationen. An der Wall Street ist es das Gleiche. Dort ist ein langfristiges Investment eine kurzfristige Spekulation, die furchtbar schiefgegangen ist. Der Einmarsch im Irak hätte im Wesentlichen eine kurzfristige Spekulation sein sollen, ebenso der in Afghanistan. Elf Jahre später sind wir immer noch in Afghanistan und die Amerikaner haben lange versucht, den Irak zu verlassen. Wir wollen immer schnell sein; das gibt uns ein Gefühl von Schutz. Wir bleiben dort aber hängen und deshalb fühlen wir uns sehr exponiert und gefährdet.
Risiko ist auch ein ökonomischer Begriff. Wie nützlich sind ökonomische Werkzeuge im militärischen Bereich?
Sie sind nicht besonders nützlich. Wir können aus der Erfahrung zum Beispiel Wahrscheinlichkeiten für Terroranschläge hochrechnen. Doch die sagen uns überhaupt nichts; wir könnten bereits morgen von einem großen Terroranschlag getroffen werden. Aber wir wollen immer die Illusion haben, unser Leben zu kontrollieren. Deshalb übersetzen wir Gefahr in Risiko. Das macht auch die Versicherungsindustrie. Es ist im Grunde bedeutungslos, aber es gibt uns das Gefühl, Kontrolle zu haben. Es ist eine Form von Angst-Management. Wir können zwar Sicherheit modellieren, aber nicht Schutz. Sicherheit ist ein technologisches Problem, aber Schutz ist ein subjektives, existenzielles Problem. Alles, was man tun kann, ist vorzugeben, Schutz zu bieten.
Was genau ist der Unterschied zwischen Sicherheit und Schutz?
Sicherheit ist mathematisch berechenbar, denn es ist ein technologisches Problem. Wir überprüfen unsere Flugzeuge, bevor sie wieder losfliegen und entscheiden, ob sie noch sicher sind. Schutz kann man nicht bieten, denn der ist subjektiv. Was für Sie Schutz ist, ist nicht notwendigerweise das, was für mich Schutz ist.
Warum ist es notwendig, Ängste zu managen, wenn es an den tatsächlichen Ereignissen ohnehin nichts ändert?
Weil wir in einem postideologischen Zeitalter leben. In der Politik geht es nicht mehr um Ideen, sondern um Management. Wir wählen Politiker, weil wir glauben, dass sie die Wirtschaft besser leiten, als es ihre Konkurrenten tun würden. Wir wählen sie zunehmend auch deshalb, weil wir uns sicherer oder mehr geschützt fühlen. Wir glauben, sie sind bessere Risikomanager und auch wirtschaftliche Manager. Politik ist sehr managerhaft geworden. Wenn Ideen nicht wieder in die Gleichung aufgenommen werden, und in Europa deutet in absehbarer Zeit nichts darauf hin, werden Politiker auf diese Weise gewählt und wiedergewählt.
Welche Rolle spielen Experten im Bereich des Risiko-Managements?
Wissen ist in unserer Gesellschaft in allen Bereichen anfechtbar. Wenn Sie zum Beispiel den Iran nehmen: Setzen wir auf Sanktionen oder militärische Aktionen? Wenn man heute ein Problem vermeidet, schafft man morgen ein Problem. Das heißt, zu viel zu tun ist genauso fatal, wie zu wenig zu tun. Im Fall des Irans heißt das, jede Entscheidung ist falsch. In der Politik geht es darum, falsche Entscheidungen zu managen. Das ist die zynische Natur des politischen Lebens. Wir haben Glück, wenn wir die Politiker wählen, die den geringsten Schaden anrichten. Sie werden Schaden anrichten, aber sie richten den geringsten Schaden an. Jetzt haben wir Experten, die uns sagen, das ist richtig oder das genaue Gegenteil davon ist richtig, obwohl sie vielleicht die exakt gleiche Ausbildung haben. Doch wir können ihnen nicht vertrauen. Wir haben das Vertrauen in die Wissenschaft verloren. Wissen, nicht Ignoranz ist die große Gefahr. Wir wissen gleichzeitig zu viel und zu wenig.
Kann man die weltpolitischen Konflikte, die Sie angesprochen haben, in Sachen Risiko-Management mit Konflikten auf kleinerer Ebene vergleichen?
Es wurde in der Risikogesellschaft der Begriff der "gefährlichen Probleme" erfunden. Er wird mittlerweile in der Stadtplanung angewendet. Jede Entscheidung hat Konsequenzen, oft negative, mit denen man jahrelang leben muss. So spricht man von "gefährlichen Problemen". Diese haben viele Eigenschaften. Eine ist, dass sich nicht feststellen lässt, was eigentlich das Problem ist. Eine andere ist, dass wir selbst Teil des Problems sind. Sobald wir intervenieren, werden wir Teil des Problems. Wir sind nicht die Lösung, wir sind das Problem. Wir sind vielleicht nicht der größte Teil des Problems, aber wir sind problematisch. Anstatt das Problem zu lösen, sehen wir es als problematisch an. Wenn wir es als problematisch ansehen, kann etwas anderes problematischer sein. Wir können sagen: "Gut, wir haben Afghanistan gelöst, wir können etwas anderes tun." Dann haben wir das Problem gelöst. Afghanistan ist weg, weil es nicht mehr so wichtig ist.
Das Gegenteil davon sind "harmlose Probleme". Vor 30, 40 Jahren waren alle Probleme harmlos. Doch nun haben wir "gefährliche Probleme", die nicht mehr verschwinden. Afghanistan ist ein typisches "gefährliches Problem". Es gibt zumindest 14 verschiedene Akteure mit eigenen Vorstellungen. Niemand kann feststellen, was eigentlich das Problem ist. Wir haben es bisher nicht gelöst und werden es auch nicht schaffen. Andere Dinge interessieren uns nun stärker. Wir haben im Westen eine Aufmerksamkeitsstörung. Wir haben Budgetdefizite, Personaldefizite, und wir haben ein Aufmerksamkeitsdefizit. Das ist das größte Defizit von allen. Wir sind schnell gelangweilt und wenden uns dem nächsten Problem zu, um dort den gleichen Schaden anzurichten. Das ist ein Problem des Westens.
Liegt es vielleicht auch daran, wie sich die Medien den Dingen widmen? Sie springen von einem Brandherd zum nächsten.
Absolut, die Medien haben eine besondere Aufmerksamkeitsstörung. Sie bleiben dabei, solange die Quote stimmt.
Christopher Coker ist Professor für Internationale Beziehungen an der London School of Economics. Er sprach auf Einladung des "Salzburg Global Seminars" in Salzburg.