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Wissen? - Nur ein Marketinghemmer

Von Christa Karas

Wissen

Esoterik macht selbst vor den Unis nicht mehr halt. | Zum "Geistheiler" durch das Wifi. | "Master" mit "therapeutischen Vaginalmassagen". | Wien. "Hin und wieder bekomme ich ja gehässige e-mails oder gutgemeinte Ratschläge von Menschen, die mir dringend nahe legen, als Mathematiker bei meinen Zahlen bzw. als Volkswirt bei Angebot und Nachfrage zu bleiben, anstatt unqualifiziert über die bewundernswerten Errungenschaften der alternativen, komplementären, integrativen und ganzheitlichen Medizin herzufallen, die die Schulmedizin so alt aussehen lassen", schreibt Univ.-Prof. Ulrich Berger, Spieltheoretiker an der Wirtschaftuniversität Wien, aktuell in seinem viel beachteten Wissenschaftsblog.


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"Aber, entgegne ich dann - sofern ich dazu noch Gelegenheit bekomme - die Marktkräfte von Angebot und Nachfrage lassen sich doch ganz hervorragend etwa am Beispiel des Markts für medizinische Weiterbildung studieren." Unterstützung bekommt der Wirtschaftswissenschafter dabei vor allem von einem "Praktiker", dem Pharmazeuten Edmund Berndt, der diese Marktkräfte in seiner Apotheke in Lenzing, OÖ, Tag für Tag an seiner Kundschaft verfolgen kann, wenn diese etwa homöopathische Mittel verlangt.

Wissenschaft gilt, wie Berger und Berndt festgestellt haben, hier als "marketingtechnischer Hemmschuh" und so schaut es dann auch aus, wenn nicht nur private Weiterbildungsinstitute ins Kraut schießen. "Selbst staatlich geförderte und vergleichsweise seriöse Institutionen springen auf den Zug auf", so Berger, der dazu eine Fülle an Beispielen nennt.

Astrologie, Kinesiologie und Tiertelepathie

"Das Wifi (Wirtschaftsförderungsinstitut) setzt nach Astrologie und Tiertelepathie neuerdings auf Kinesiologie und Geistheiler-Ausbildung. Beim LFI (Ländliches Fortbildungsinstitut Österreich) kann man lernen, wie man seine Nahrungsmittelunverträglichkeiten mit dem Pendel mutet und am BFI (Berufsförderungsinstitut) lassen sich gleich vier Kurse zur Kinesiologie belegen, die sich dort Touch for Health nennt." Doch damit noch lange nicht genug:

"Nachdem sich die Esoterik in Form von öffentlich geförderten Humbug-Kursen im Umkreis von Wirtschafts- und Ärztekammer erfolgreich breit gemacht hat, schleicht sie sich an die Universitäten ran. Allen Widrigkeiten zum Trotz hat die universitäre Aus- und Weiterbildung immer noch die höchste Reputation. Da sich Reputation in klingende Münze verwandeln lässt, verwundert es nicht, dass besonders die Alternativmedizin mit aller Macht dorthin drängt, wo eigentlich jene wissenschaftliche und evidenzbasierte Medizin beheimatet sind, die sie insgeheim als ihren natürlichen Feind betrachtet."

Stellenweise ist ihr das bereits gelungen. Berger: "Im Rahmen der sommerlichen Kinderuni konnten unsere Kleinen im Vorjahr lernen, wie dich die homöopathischen Globuli gesund machen können. Und an der MedUni Wien hören angehende Ärzte Vorlesungen über Pharmakologie, während der Dozent im Nachbarhörsaal die geistartige Kraft von wirkstofflosen Zuckerkügelchen im Rahmen des Homöopathiekurses beschwört."

"Wo Master draufsteht, muss auch ein Master drin sein", wurde Friedrich Faulhammer, Leiter der Hochschulsektion im Wissenschaftsministerium, jüngst zitiert. Was also ist wirklich drin in jenen Unilehrgängen, wo Master draufsteht?

Berger: "Ein solcher mit einem Master of Science (MSc) abschließender Lehrgang ist an der Donau-Uni Krems zu finden. Es handelt sich im Kern um einen Homöopathie-Lehrgang, der dort euphemistisch Natural Medicine genannt wird. In einem anderen MSc-Lehrgang wird Studierenden der Verlauf der zwölf Meridiane erläutert - ein vitalistisches Konzept, das aus wissenschaftlicher Sicht seinen ontologischen Status mit Einhörnern teilt."

Roter Zungengrund verrät Onanierzwang

Die universitäre Konkurrenz lauert dagegen in Wien: "Seit fünf Jahren leistet man sich hier eine akkreditierte Privatuniversität für Traditionelle Chinesische Medizin, kurz TCM-Uni, wo unter anderem die Feinheiten der Zungendiagnose erörtert werden. Geröteter Zungengrund, so erfährt man aus einem Interview mit dem Rektor, deute auf eine Schwäche des Nieren-Yin hin, was oft zu Onanierzwang führe."

Dafür punktet wiederum die Donau-Uni mit einem vielversprechenden "Universitätslehrgang für Lebensraummanagement und interkulturelle Philosophie". Der Lehrgangsleiter verweist auf Ausbildungen in Feng-Shui, Geomantie und chinesischer Astrologie. Unterrichten dürfen den Lehrgang u. a. ein Astrologe und zwei Träger falscher Doktortitel. Berger dazu: "Das Ergebnis sind groteske studentische Abschlussarbeiten wie etwa jene über die Yin-Yang-Formel und die Quantentheorie im Feng-Shui."

Tibetisches in Kärnten, Highlight in Graz

Mit TCM, Homöopathie und Feng-Shui seien die in die Unis drängenden wissenschaftsfernen Konzepte keineswegs erschöpft, erläutert Berger: "Aus Kärnten belästigt man den Akkreditierungsrat mit der gloriosen Idee einer Privatuni für Tibetische Medizin; dabei war jener gerade schwer damit beschäftigt, die Donau-Uni-Abspaltung namens Danube Private University abzuwehren, der ein lukratives Doktoratsstudium der Schönen Künste für die Generation 50+ vorschwebte."

Absolutes Highlight ist allerdings das Grazer Interuniversitäre Kolleg, dessen wissenschaftlicher Leiter auf der Interuni-Webseite "mit einer Auszeichnung durch eine berüchtigte Titelmühle prahlt und deren medizinischer Leiter als HIV/AIDS-Skeptiker auf der Webseite einer einschlägig bekannten Gruppe von AIDS-Spinnern" mitmischt.

Einer der Lehrenden, ein israelischer Kinderarzt, erlangte durch einen Artikel traurige Berühmtheit, in dem er die Lehre des antisemitischen Krebspfuschers Ryke Geerd Hamer lobte, während dem Ko-Autor dieses Artikels und bis vor kurzem noch Lehrkraft am Kolleg aufgrund seiner "therapeutischen" Vaginalmassagen in Dänemark die Lizenz entzogen wurde.

Dieses Interuniversitäre Kolleg also präsentiert nun einen neuen MSc-Lehrgang mit dem Schwerpunkt "energy medicine", Kooperationspartner ist die "Deutsche Gesellschaft für Energetische und Informationsmedizin", auf deren letztem Kongress u. a. Methoden zur "Erzeugung von informiertem Wasser für besondere Heilungsanwendungen" präsentiert wurden. Berger: "Zur Energiemedizin zählen die obskursten Methoden, von Bioresonanz bis Kirlianfotografie. Ihre Theorien beruhen auf so pseudowissenschaftlichem Humbug wie Skalarwellen, Informationsfeldern und Heilschwingungen. Sie sind nicht nur unwissenschaftlich, sondern schlicht antiwissenschaftlich."

Akademischer Grad laut geltendem Gesetz

Der Wissenschafter: "Wohlgemerkt: wir sprechen hier nicht von einem privaten Kurs eines obskuren Esoterikvereins, sondern von einem hochoffiziellen Lehrgang universitären Charakters, der mit der Verleihung eines akademischen Grades laut österreichischem Universitätsstudiengesetz abschließt."

Zum Nach- und Weiterlesen: http://www.scienceblogs.de/kritisch-gedacht