Mit 15.000 Studierenden - ähnlich viele findet man an vergleichbaren Einrichtungen allenfalls noch in Rom - nimmt die Fakultät für Sozialwissenschaften an der Universität Wien eine Sonderstellung ein. Dekan Rudolf Richter sorgt sich angesichts des bevorstehenden EuGH-Urteils vor allem um die Publizistik.
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Die neu geschaffene Fakultät beheimatet die Fächer Soziologie, Kulturund Sozialanthropologie, Politologie, Publizistik und Kommunikationswissenschaft sowie die junge Disziplin der Pflegewissenschaft. Nach einer kürzlich durchgeführten zweitägigen "Denkwerkstätte" mit Gästen aus dem Ausland resümiert Richter: "Die Probleme in Österreich sind keine regionalen, sondern europäische."
Das Bildungssystem ist in Umstellung auf den Bologna-Prozess, der eine Orientierung auf die akademischen Grade Master und Bachelor (Bakkalaureus) verlangt. Das bedeutet für die Sozialwissenschaften eine Neuordnung der Studiengänge und zum Beispiel eine Klärung der Frage, ob ein gemeinsames Bakkalaureat für die drei Fächer Soziologie, Anthropologie und Politologie mit einer späteren Spezialisierung auf Master-Studiengänge eingerichtet werden soll .
An die 3.000 Erstsemestrige strömen Jahr für Jahr an die Fakultät, davon mehr als 1.000 in den Fächern Soziologie, Anthropologie und Politologie, "das Zehnfache jener Zahl, die etwa die Berliner Humboldt-Universität für ein Bakkalaureatsstudium in diesen Fächern aufnimmt".
Ein Soziologie-Studium, so Dekan Richter, sei deutschen Studierenden "irgendwo in Deutschland meist möglich". Er glaubt nicht, dass sich durch das für 7. Juli angekündigte Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), das eventuell deutsche Numerus-Clausus-Betroffene nach Österreich ausweichen lässt, an seiner Fakultät viel ändert.
Sorge hat er bei der jetzt schon überlaufenen Publizistik. Die hohe Drop-out-Rate an der Fakultät - 70 bis 80 Prozent - ist Anlass, besonderes Augenmerk auf die Studieneingangsphase zu legen.
Die besondere Herausforderung sieht Richter darin, Forschung und Lehre stärker zu verbinden, aber auch mehr interdisziplinär zusammen zu arbeiten. Die Wissenschaften müssen sich vermehrt dem Wettbewerb stellen. Am Beispiel Zürich wurde während der "Denkwerkstätte" deutlich, wie wichtig öffentliche Präsenz und Forschungsausrichtung von wissenschaftlichen Einrichtungen sind. Das dortige Anreizsystem, ein Forschungstopf, um dessen Gelder sich die Fakultäten mit möglichst guten Projekten bewerben können, wird immer mehr zur Realität des Wissenschaftsbetriebes werden.