Aktuelle Studien beschäftigen sich mit Screenings. Ein Überblick zu Chancen und Risiken.
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Seit dem Frühling begleitet eine charmante Utopie diese Pandemie. Was, wenn man einfach alle Menschen regelmäßig testen würde? Mit dieser Frage hat sich im April der Nobelpreisträger für Ökonomie, Paul Romer, beschäftigt und dazu eine Publikation verfasst. Er berechnete, dass sich dadurch das Infektionsgeschehen unter Kontrolle bringen ließe. Theoretisch. Denn ausreichend Tests gab es dafür nie.
Österreich zählt zwar zu jenen Ländern, die relativ viele PCR-Tests durchführen, dennoch sind es pro Tag nur etwa 30.000. Und dabei werden vor allem erkrankte Personen getestet, die eine möglichst präzise Diagnose brauchen. Dafür ist die PCR-Testmethode sehr gut geeignet. Für ein Screening großer Populationen nicht.
Die Antigen-Schnelltests, die in großer Stückzahl zu beschaffen sind, haben der Idee Romers das Utopische genommen. Es ist möglich, die breite Bevölkerung durchzutesten, das haben die Slowakei und Südtirol zuletzt bewiesen. Aber ist es auch sinnvoll? Die Regierung bejaht diese Frage, die Wissenschaft ist da skeptischer. Aber sie widmet sich dieser spannenden Frage durchaus.
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Wichtig ist die Qualität der Antigentests selbst. Hier gibt es bessere und schlechtere Produkte, der Virologe Christian Drosten hat sich sieben Produkten in einer Validierung näher gewidmet. Das Problem ist, dass die Schnelltests erst bei hoher Virusmenge ausschlagen, das ist zu Beginn der Symptome der Fall oder ganz kurz davor. Durch den schleichenden Beginn von Covid-19 ist das auch nicht immer klar zu definieren. Ist ein leichtes Halskratzen ein Symptom?
In einer Arbeit der Charles Universität in Prag wurden Proben von 591 Personen untersucht, wobei 290 davon über Covid-ähnliche Symptome berichteten. Bei 223 Personen wurde mit PCR eine Infektion erkannt, bei den zwei verwendeten Antigentests wurden 148 bzw. 141 Infektionen detektiert. Das sind doch substanziell weniger.
Dass dies zumindest theoretisch kein Problem sein muss, zeigt eine Studie des Epidemiologen Michael Mina der Uni Harvard. Würde man 75 Prozent der Bevölkerung alle drei Tage auch mit weniger sensitiven Schnelltests testen, würde das die Epidemie innerhalb von sechs Wochen nahezu auslöschen. Das wäre zwar extrem aufwendig, andererseits: Sechs Wochen Mühsal dafür, dass man danach fast keine Infektionen mehr hätte?
Was sich aus der Arbeit jedenfalls herauslesen lässt: Wichtiger als die Genauigkeit ist die Häufigkeit sowie die Dauer, bis die Ergebnisse vorliegen. Das ist ein Nachteil der laborbasierten PCR. Auch eine Arbeit des österreichischen Komplexitätsforschers Peter Klimek über Massentests in Pflegeheimen ist zur Erkenntnis gelangt, dass die Zeit bis zum Testergebnis von großer Bedeutung ist. Gelingt es, diese auch bei Laborverfahren wie PCR und Lamp sehr kurz zu halten, würden Screenings mit diesen Methoden die besten Ergebnisse erzielen und den Bewohnern den größtmöglichen Schutz bieten.
Für das Pflegepersonal wäre es auch angenehmer, da auf den Abstrich verzichtet und stattdessen gegurgelt werden könnte. Man könnte mehrere Proben gemeinsam analysieren und Ressourcen sparen. Wenn es jedoch ein, zwei Tage dauert, bis die PCR vorliegt, sieht die Rechnung anders aus.
Massentests verlangen nach einem klugen Management der Imperfektion. Dass Screenings in der Gesamtbevölkerung auch unerwünschte Nebenwirkungen haben, beschreibt eine rezente Studie aus Cambridge, die das Risiko von vermehrten Übertragungen durch solche Massentests beschreibt.
Verhalten der Bevölkerung kann negativ wirken
Auch in dieser Arbeit wird von einer Fallzahlreduktion von 70 Prozent berichtet, aber nur theoretisch. Im realistischen Szenario nehmen die Forscher an, dass sich Personen mit ganz leichten Symptomen, die sich kaum krank fühlen, durch ein negatives Testergebnis erst recht nicht isolieren würden. Je nach Annahme des Verhaltens dieser Gruppe, kommen die Forscher auf entweder nur geringe positive oder gar negative Effekte eines Massentests.
Das Verhalten der Menschen ist ein wichtiger Punkt. In der Slowakei ist es etwa zu Zusammentreffen in Wartebereichen gekommen. Gerade in kleineren Gemeinden kennt man einander und hat sich vielleicht schon wochenlang nicht gesehen. Für eine Ansteckung reicht schon eine kurze Nachlässigkeit.
Eine Frage ist auch, wie die Bevölkerung auf die zu erwartende, niedrige Inzidenz unmittelbar nach dem Lockdown reagieren wird. Auch das könnte viele Menschen in falscher Sicherheit wiegen. Erste Berichte dazu gab es aus Südtirol, wo weniger als ein Prozent infiziert war. Das klingt aber nur nach wenig, das wären 89.000 Personen in Österreich, also nicht viel weniger als jetzt.
Auch Peter Klimek verweist auf die Bedeutung der Regelmäßigkeit solcher Testungen. Andernfalls würde man sich nur etwas Zeit kaufen. Verdoppelten sich zum Beispiel die Fallzahlen nach zehn Tagen und zöge man durch das Screening die Hälfte aller Infizierten heraus, wäre man in weiteren zehn Tagen wieder dort, wo man vor dem Test war.