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Wissenschafterappell an Parlament

Von Heiner Boberski

Wissen

Experte sieht Unis auf dem "Weg zum Provinzbahnhof". | Tagung über die Finanzierung der Universitäten. | Wien. Einen Tag vor der Parlamentssitzung, in der SPÖ, FPÖ und Grüne die Abschaffung der Studiengebühren und eine Aufhebung bisheriger Zugangsbeschränkungen zu Universitätsstudien beschließen wollen, appellierten Vertreter von vier Wissenschaftseinrichtungen in einer Pressekonferenz in Wien eindringlich an die Mandatare, diese Entscheidung erst nach der Wahl und nach eingehenden Gesprächen mit Fachleuten zu treffen.


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"Ich pack´s einfach nicht", entfuhr es Christoph Badelt, dem Präsidenten der österreichischen Universitätenkonferenz (Uniko). Er bezweifelt, dass ein Finanzminister, egal welcher Partei, nach dem Wegfall der Studiengebühren die für den Ausbau der Wissenschaft bereits zugesagten Mittel aufbringen kann.

Denn bis 2020 soll die Ausweitung der Mittel für den tertiären Bildungssektor (der vor allem die Universitäten, die Fachhochschulen und die Pädagogischen Hochschulen umfasst) in Österreich von 1,3 auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen. Dieses erst im Herbst 2007 von der Koalitionsregierung proklamierte Ziel sieht Badelt durch das Wahlkampfgetöse bedroht.

Wenn, so der Verfassungsrechtler Walter Berka (Wissenschaftsrat), Österreich zum einzigen Land in Europa werde, das weder Studiengebühren noch Zugangsbeschränkungen habe, werde es zum "Provinzbahnhof, wo alle Studierenden landen, die sonst nirgends Platz finden". Gehe es um soziale Treffsicherheit, sollte man eher das Geld, das jetzt die Studiengebühren ersetzen solle, für eine deutliche Erhöhung der Stipendien einsetzen.

Eindringlich plädierte Knut Consemüller, Chef des Rates für Forschung und Technologieentwicklung, für Gebühren und Aufnahmetests an den Unis im Interesse der Qualität: Es könne doch nicht sein, dass jemand bei einer Fachhochschule rausfliege und dann gratis an der Uni studiere. Da werde doch Steuergeld verschwendet. Noch habe Österreich als einziges Land Europas gute Chancen, bis 2010 das EU-Ziel von drei Prozent des BIP für Forschung zu erreichen.

Leopold März, der Präsident des Fachhochschulrates, betonte, wie wichtig die Gebühren für die Fachhochschulen seien (auch dort, wo es sie vorläufig weiter geben soll, werden sie von der Österreichischen Hochschülerschaft in Frage gestellt), und schloss mit einer "persönlichen Bemerkung": "Ich finde es bedauerlich, in einer Zeit leben zu müssen, in der es zu einem schweren Niedergang der politischen Kultur kommt."

Die Pressekonferenz fand am Rande der Uniko-Tagung "Universitätenfinanzierung für Österreich: internationale Perspektiven" statt, bei der auch internationale Fachleute zu Wort kamen. Dabei unterstrich der Ökonom André Sapir (Brüssel), wie wichtig die Rolle der Universitäten im internationalen Wettbewerb für Wirtschaftswachstum und soziale Sicherheit sei.

"Qualitätskrise droht"

In Skandinavien gibt es zwar keine Studiengebühren, aber eine sorgfältige Auswahl der Studienanwärter. Lauritz B. Holm-Nielsen (Aarhus, Dänemark) zeigte auf, wie sich auch kleinere Länder in der Welt der Wissenschaft behaupten können. Europa brauche sich auch vor den USA nicht zu verstecken, im Durchschnitt, sehe man von einigen hochdotierten Spitzen-Unis ab, sei das akademische Niveau in Europa höher.

Auf der Tagung präsentierte Badelt eine "Roadmap" zum Zwei-Prozent-Ziel und rechnete vor, dass dafür in den Jahren 2010 bis 2012 die Budgetmittel für den tertiären Sektor pro Jahr um rund 616 Millionen Euro steigen müssten. Er wies darauf hin, dass das Wegfallen der Studiengebühren bereits am Start der Reise ein Minus von 150 Millionen Euro gegenüber dem ursprünglichen Fahrplan bedeute.

Eine "Liquiditätskrise" der Universitäten, wie sie der frühere Sektionschef im Wissenschaftsministerium, Norbert Roszenich, befürchtet, sieht Badelt zwar in naher Zukunft noch nicht kommen, wohl aber eine "Qualitätskrise".

Wenig Begeisterung löst bei Vertretern der Wissenschaft - auch die betroffenen Medizin-Rektoren meldeten sich dazu zu Wort - die geplante Erhöhung der Medizin-Studienplätze aus. Das bedeute Mehrausgaben von 400 Millionen Euro pro Jahr und komme mutmaßlich mehr der Ausbildung von Ausländern zugute.