Vor zweihundert Jahren brach eine österreichische Expedition nach Brasilien auf. Ihr wissenschaftlicher Leiter, Johann Natterer, erforschte neunzehn Jahre lang die Flora und Fauna des Landes.
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Im Mai 1817 wurde in Wien eine große Hochzeit gefeiert: Erzherzogin Maria Leopoldine, die vierte Tochter von Kaiser Franz I., heiratete den portugiesischen Kronprinzen Pedro. Der Bräutigam selbst war an diesem Tag allerdings im fernen Rio de Janeiro, dem damaligen Sitz des portugiesischen Hofes, und musste von Erzherzog Karl vertreten werden. Diese Hochzeit sollte eine dynastische Verbindung zwischen Österreich und Portugal schaffen, war aber auch der Anlass für ein wissenschaftliches Großunternehmen: Eine österreichische Expedition sollte in das damals noch weitgehend unerforschte Brasilien aufbrechen.
Ein kurzer Blick zurück: Das am Rande Europas gelegene Portugal war selbst zwar klein, wurde aber durch seine Kolonien, allen voran das riesige Brasilien, beträchtlich aufgewertet. Während der Napoleonischen Kriege war Portugal von französischen Truppen besetzt worden, und sein König war über den Atlantik nach Rio de Janeiro geflohen. Auch nach der Befreiung seiner Heimat war der portugiesische König in Brasilien geblieben, und so musste die frisch vermählte Leopoldine zu ihrem Bräutigam nach Südamerika reisen. Eine naturwissenschaftliche Expedition sollte sie nach Brasilien begleiten, um noch unerforschte Landesteile zu erkunden. Vor allem aber sollte sie den Hunger nach exotischen Schaustücken stillen und Exponate für die kaiserlichen Sammlungen nach Wien bringen.
Die Ankündigung, dass eine Forschungsreise nach Brasilien geplant werde, sorgte für Aufregung unter den österreichischen Wissenschaftern und es gab viele, die sich freiwillig dafür meldeten. Schließlich machten sich 14 Personen - neben den Forschern auch zwei Maler - auf den Weg nach Südamerika.
Der Kopf des Ganzen
Der Mann, der die Expedition prägen sollte, war Johann Natterer. Er war bei Beginn der Expedition mit 30 Jahren noch vergleichsweise jung, hatte aber bereits mehrere Sammelreisen unternommen und durch seine langjährige Tätigkeit im Naturalienkabinett auch Erfahrung mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung von Exponaten. Die Expedition erregte auch über die Grenzen Österreichs hinaus Aufmerksamkeit, und so schlossen sich Wissenschafter aus Bayern und der damals von Habsburgern regierten Toskana der Reise an.
Zwei Schiffe der österreichischen Marine, die "Austria" und die "Augusta", sollten die Expedition über den Atlantik bringen. Dass die Reise nach Brasilien nicht nur wissenschaftliche Gründe hatte, sondern auch die Handelsbeziehungen verbessern sollte, konnte man an der Fracht dieser Schiffe erkennen. Eine Auswahl von österreichischen Produkten - Glas, Waffen, aber auch ungarische Weine - wurde von ihnen nach Rio de Janeiro gebracht, um den brasilianischen Markt für die österreichische Wirtschaft zu erschließen.
Am 10. April 1817 war es soweit und die beiden Schiffe konnten ihre Reise nach Südamerika beginnen. Doch der Anfang der Expedition stand unter keinem guten Stern: Schon wenige Stunden nach der Abfahrt aus dem Hafen von Triest zog ein schwerer Sturm auf. Während die "Austria" heil davonkam und die Fahrt nach Brasilien fortsetzen konnte, wurde die "Augusta" schwer beschädigt und musste wochenlang repariert werden. Doch damit nicht genug: Nachdem das Schiff instand gesetzt war, segelte die "Augusta" nach Gibraltar, musste dort aber mehr als zwei Monate lang auf jene portugiesischen Schiffe warten, die Erzherzogin Louise nach Brasilien bringen sollten. So kam es, dass trotz der gleichzeitigen Abfahrt aus Triest die "Austria" im Juli, die "Augusta" aber erst im November 1817 in Rio de Janeiro eintraf.
Die damalige Hauptstadt Brasiliens sollte das Hauptquartier der Expedition sein, von dort aus sollten die Teilnehmer in kleinen Gruppen Reisen in das Land unternehmen. Die Natur Brasiliens entpuppte sich als wahre Schatzkiste, und der Leiter der Expedition schrieb voller Begeisterung für das Land nach Wien: "Aber wie ungemein anziehend sind doch die wildschönen Gegenden für den Naturforscher!"
Allerdings waren die Mitglieder der Expedition bald mit vielen Problemen konfrontiert, die vor der Abreise aus Österreich unbekannt oder einfach nicht bedacht worden waren. Die Straßen und Wege in Brasilien waren schlecht ausgebaut und die Versorgung der Expeditionen in den abgelegenen Gebieten gestaltete sich schwierig. Die Forscher waren daher mit großen Mengen an Ausrüstungen unterwegs, denn sie mussten davon ausgehen, dass in den Zielgebieten nicht einmal das Allernötigste besorgt werden könnte. Neben den wissenschaftlichen Materialien und Vorräten mussten die Tragtiere auch noch unzählige Ochsenhäute schleppen, damit man bei den häufigen Regenfällen das Material abdecken konnte. Neben dem Regen waren Ameisen und Termiten eine ständige Bedrohung für die gesammelten Objekte, und der Transport der Exponate nach Rio de Janeiro war meist schwieriger als erwartet.
Behinderungen
Bereits im Juni 1818 kehrten die ersten Expeditionsteilnehmer nach Österreich zurück und brachten Exponate mit nach Wien. Die wirklich großen Reisen in das Landesinnere sollten zu dieser Zeit aber erst bevorstehen, denn bis dahin waren die Forscher vor allem in den Gegenden nahe der Küste unterwegs gewesen. Die Vorbereitungen dafür dauerten aber länger als erwartet, denn die portugiesischen Behörden waren nur sehr zögerlich bei der Ausstellung von Reisegenehmigungen - die Geheimnisse um die Fundstellen von Gold und Diamanten sollten gewahrt bleiben. Als schließlich 1821 aus politischen Gründen Unruhen ausbrachen, hatte das auch Auswirkungen auf die Forscher: Die Expedition wurde aufgelöst und allen Teilnehmern wurde befohlen, nach Österreich zurückzukehren.
Die meisten Forscher folgten dem Befehl, aber Johann Natterer blieb in Brasilien. Er war vom abrupten Ende der Expedition schwer enttäuscht, und es traf ihn umso mehr, als seine geplante Reise in das Landesinnere bereits in österreichischen Zeitungen angekündigt worden war. Zur Freude Natterers endeten die Unruhen aber schon nach kurzer Zeit und so wurde ihm erlaubt, doch noch länger in Brasilien zu bleiben. 1822 konnte er endlich zur lange ersehnten Reise in das Landesinnere aufbrechen. Sie sollte weit länger als geplant dauern, denn erst 1835 traf Natterer am Amazonas, dem Ziel seiner Expedition, ein. Die Jahre dazwischen waren trotz der guten Vorbereitungen von Mühsalen und Entbehrungen geprägt. Die Regenzeit machte wochen- und monatelange Aufenthalte notwendig, und Versorgungsprobleme standen auf der Tagesordnung. Dazu kamen Krankheiten, die in den abgelegenen Regionen kaum behandelt werden konnten. Vor allem eine chronische Leberentzündung machte Natterer zu schaffen. Seinem Bruder schrieb er: "Ich bin sehr mager geworden, der ganze Körper ist mit Ausschlag bedeckt, die Füsse geschwollen, die Gesichtsfarbe gelb, fast alle Haare sind mir ausgefallen."
Trotz der persönlichen Leiden war die Expedition in wissenschaftlicher Hinsicht ein großer Erfolg. Natterer konnte unzählige neue Arten erstmals dokumentieren und er nutze seinen Aufenthalt auch für völkerkundliche Studien. Er erstellte Wortlisten indianischer Sprachen und unter all den Objekten, die nach Wien geschickt wurden, fanden sich auch viele Gegenstände, die er von Indianern eingetauscht hatte.
In der Zwischenzeit waren dermaßen viele Exponate aus Brasilien in Wien angekommen, dass das kaiserliche Naturalienkabinett aus allen Nähten platzte. Zusätzliche Räume mussten angemietet werden und man nutzte diese Gelegenheit, um in der Johannesgasse im heutigen ersten Bezirk ein eigenes Museum zu eröffnen. Das Museum faszinierte Wissenschafter und Laien und wurde rasch zu einer großen Attraktion.
Als Natterer nach seiner jahrelangen Reise im Jahr 1835 in Manaus ankam, wartete dort schon der Befehl zur Rückkehr auf ihn. Er bereitete seine Sammlungen, vor allem aber die lebenden Tiere, die für den Zoo in Schönbrunn bestimmt waren, auf die lange Überfahrt vor. Unmittelbar vor seiner Abreise brachen Unruhen aus, alle Tiere wurden von Aufständischen getötet und ein großer Teil seiner Sammlungen zerstört.
Unglückliche Rückkehr
Am 13. August 1836 traf Natterer in Wien ein, mehr als neunzehn Jahre, nachdem er die Stadt verlassen hatte. Die Rückkehr verlief enttäuschend für ihn und es war wie ein bitterer Zufall, dass kurz vor seiner Ankunft in Wien das Brasilienmuseum wieder geschlossen wurde. Natterers Leistungen wurden nur unzureichend anerkannt, und viele der von ihm entdeckten Tierarten waren inzwischen von anderen Forschern beschrieben worden. Zu seiner Verbitterung trug auch bei, dass er trotz seiner Kenntnisse nur eine untergeordnete Stelle im Naturalienkabinett bekam.
Anerkennung fand er allerdings im Ausland, die Universität Heidelberg verlieh ihm ein Ehrendoktorat und er wurde in zahlreiche wissenschaftliche Gesellschaften aufgenommen. Die Folgen der in Brasilien zugezogenen Krankheiten machten sich aber bald bemerkbar, und so blieb ihm nicht mehr viel Zeit, die Ergebnisse seiner Reisen aufzuarbeiten. Am 17. Juni 1843 starb Natterer im Alter von 56 Jahren.
Er hinterließ ein beeindruckendes Erbe, es umfasste mehr als 12.000 Vögel, über 30.000 Insekten, unzählige weitere naturwissenschaftliche Exponate, aber auch über 1700 ethnographische Objekte. Die Sammlungen Natterers werden heute im Naturhistorischen Museum und im Weltmuseum Wien, dem früheren Völkerkundemuseum, aufbewahrt. Im Weltmuseum Wien soll Natterer auch eine späte Würdigung erfahren, denn nach der Neueröffnung des Hauses im kommenden Herbst soll dort an seine Reisen in Brasilien erinnert werden.
Und was wurde aus Erzherzogin Leopoldine, deren Hochzeit den Anstoß zur Expedition gegeben hatte? Sie war weit gebildeter als ihr Mann und hatte großen Einfluss auf die Politik des Landes, ihre Ehe war aber sehr unglücklich. Ihr Mann zog andere Damen des Hofes seiner Gattin vor und misshandelte die Habsburgerin sogar. Schließlich soll er die schwangere Leopoldine so heftig in den Bauch getreten haben, dass sie eine Fehlgeburt erlitt. Zehn Tage später, am 11. Dezember 1826, starb sie an deren Folgen im Alter von nur 29 Jahren.
Christian Hütterer, geboren 1974, lebt in Brüssel und arbeitet als Politikwissenschafter und Historiker.