Auswirkungen auf Millionen Patienten in der ganzen Welt. | Pharmafirmen kamen dadurch zu Milliardenumsätzen. | Washington/Wien. Seine "Forschungsarbeiten" beeinflussten nicht nur in den USA ein ganzes Fachgebiet, nämlich die Schmerztherapie speziell nach orthopädischen Eingriffen. Nun steht fest, dass der Anästhesiespezialist Scott S. Reuben (50) vom Baystate Medical Center in Springfield, Massachusetts, innerhalb der vergangenen zwölf Jahre den Inhalt von gleich 21 klinischen Studien über die Wirkung verschiedener Schmerzmittel ebenso frei erfunden hatte wie seine Testprobanden.
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"Wir sprechen hier wohlgemerkt von Millionen Patienten weltweit, deren postoperatives Schmerzmanagement auf den Studien von Dr. Reuben basierte", erklärt Steven Shafer, Chefredakteur des Fachjournals "Anesthesia & Analgesia", warum in vielen US-Medien bereits vom bisher größten Wissenschaftsbetrug geschrieben wird. Das Fachjournal hatte zehn von Reubens Studien veröffentlicht, ehe der Betrug beinahe zufällig aufflog:
Hal Jenson, Chief Academic Officer am Baystate Medical Center entdeckte im Mai des Vorjahres, dass es Reuben verabsäumt hatte, die Genehmigung des zuständigen Überprüfungsgremiums für zwei seiner Studien einzuholen. Als diese genauer unter die Lupe genommen wurden, fielen derart viele Ungereimtheiten auf, dass man sich entschloss, sämtliche Arbeiten des Anästhesisten zu überprüfen. Das Ergebnis war so vernichtend, dass der Mediziner ein umfassendes Geständnis ablegte und nun nach Angaben seiner Anwältin gegenüber "Scientific American.com" voll mit den Ermittlern kooperiert.
Vom Profit profitiert?
Im Raum steht indessen noch die Frage, ob sich Reuben dadurch auch finanzielle Vorteile verschafft hat. Paul White, Wissenschaftsredakteur von "Anesthesia & Analgesia", gibt zu bedenken, dass die gefakten Studien sehr wahrscheinlich mit dazu beitrugen, dass potenziell gefährliche Mittel in enormen Mengen auf den Markt kamen.
Dabei handelt es sich vor allem um entzündungshemmende Arzneimittel aus der Gruppe der sogenannten COX2-Inhibitoren, Celebrex von Pfizer und Vioxx von Merck, die den Unternehmen in erster Linie in den USA Milliardenumsätze eintrugen, ehe Vioxx im Spetember 2004 vom Markt genommen werden musste. Der Grund: Bei längerdauernder Einnahme führte das Mittel bei zahlreichen Menschen zu Herzinfarkten und Schlaganfällen. Merck sah sich Zehntausenden Klagen gegenüber.
Celebrex, vor allem als Rheumamittel effektvoll, hat neben anderen ebenfalls das Potenzial für derartige Nebeneffekte, verblieb aber auf dem Markt. Die Arzneimittelrichtlinien lauten allerdings dahingehend, dass das Medikament nur eingeschränkt eingesetzt werden soll.
Was nun obendrein die Optik empfindlich stört: Reuben war nicht nur ein Mitglied in Pfizers "speakers bureau", sondern erhielt von dort auch fünf Forschungsstipendien, deren Unabhängigkeit nun in Zweifel gezogen werden muss. Zumal Reuben auch den Einsatz anderer Pfizer-Medikamente empfahl wie zum Beispiel des Antikonvulsivums Neurontin und des ähnlich wirkenden Lyrica, die vor allem bei Krampferkrankungen (Epilepsie) angewendet werden.
Auf Grund von Reubens Empfehlungen, diese Mittel zusätzlich zu Celebrex und noch während orthopädischer Operationen zu verabreichen, werden sie mittlerweile weltweit von Ärzten auch gegen neuropathischen Schmerz verwendet.
Patienten geschädigt?
Ob infolge von Reubens Tätigkeit Patienten zu Schaden gekommen sind, ist unbekannt, aber möglich, zeigte sich doch in Tierversuchen, dass die genannten COX2-Inhibitoren die Heilung von Knochen verzögern können. Gegen etwaige Vorwürfe suchte sich Reuben dadurch abzusichern, dass er seinen prominenten Kollegen Evan Ekman (Columbia) als Co-Autor für eine seiner "Studien" gewinnen wollte. Ekman ging auf Distanz, Reuben fälschte einfach seine Unterschrift.