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Wissensvermittlung allein genügt nicht

Von Erich Brunmayr

Politik
Wie kann man "familiärer Unterversorgung" und ihren Folgen vorbeugen? Foto: bilderbox

20 Prozent der Jugendlichen familiär unterversorgt. | Höhere Neigung zu Gewalt und Drogen. | Gmunden. Den Daten der NÖ-Jugendstudie 2006 (siehe Kasten) zufolge liegt der Anteil der Jugendlichen mit erziehungsmäßiger beziehungsweise familiärer Unterversorgung grob geschätzt bei rund 20 Prozent.


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Negative Erziehungsmaßnahmen kumulieren in Problemfamilien und haben klare Auswirkungen. Denn heute sind diese familiär unterversorgten Jugendlichen deutlich öfter in diversen Gewaltszenen, in der Drogenszene oder bei Alkoholexzessen zu finden.

Faktum ist: Kindliche Familienerfahrungen prägen entscheidend die eigene Beziehungsfähigkeit. Einfühlungsvermögen, Mitgefühl und Mitleid entstehen durch persönliche Beziehungserfahrungen, besonders aber durch Erzählen und Vorlesen von Geschichten und Märchen. Politische oder moralische Appelle gegen Gewalt beruhigen das pädagogische Funktionärsgewissen. Strategisch wirksam ist die Grundlegung von Beziehungsfähigkeit und Einfühlungsvermögen in der Kindheit.

Wenn wir mit Betreuungslehrern, Schulpsychologen, Mitarbeitern der Jugendwohlfahrt etc. reden, so berichten diese einhellig von markanten Zunahmen elterlicher Erziehungsverweigerung. Es fragt sich, ob wir gut beraten sind dieser Entwicklung nur mit der Behandlung der Folgeprobleme durch Betreuungslehrer, Schulpsychologen und den Instanzen der Jugendwohlfahrt, der Sozialarbeit sowie der Jugendpsychiatrie zu begegnen und das kollektive Gewissen mit frommen Sprüchen über die Wichtigkeit der Familie und über die moralische Verwerflichkeit von Gewaltanwendungen zu besänftigen.

Familienpolitik wird sich nicht auf monetäre Zuwendungen und das Betreuungsangebot für Kinder reduzieren lassen. Wir werden ergänzende soziale Netze einziehen müssen, um Kindern, die in desolaten Familienverhältnissen aufwachsen, zumindest ansatzweise künftige Lebenschancen zu bieten:

Hat unser Bildungssystem wirklich nur Wissen entsprechend den jeweiligen Curricula zu vermitteln? Reduziert sich die Verantwortung des Lehrpersonals wirklich nur auf diese Wissensvermittlung? Unter diesem Aspekt hätte ein neues Angebot an Nachmittagsbetreuung in den Schulen markante Chancen.

Es sind aber auch die Gemeinden und die immer wieder zu recht hochgepriesene Bürgergesellschaft gefordert, sich mit der Frage auseinander zu setzen, wo Jugendliche eine Gemeinschaft und in ihr Geborgenheit finden und wie sie in das Gemeinwesen hineinwachsen. Ein funktionierendes kommunales Gemeinwesen ist durchaus in der Lage, familiäre Defizite bei Kindern und Jugendlichen auszugleichen.

Wenn wir nicht vorbeugend in die Gemeinschaften investieren, in denen unsere Kinder und Jugendlichen aufwachsen, so werden wir später viel mehr Geld in fragwürdige Resozialisierungsmaßnahmen investieren müssen.

Dr. Erich Brunmayr ist Sozialforscher mit Firmensitz in Gmunden und leitet das Institut für strategische Zukunftsforschung an der Niederösterreichischen Landesakademie.