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Wittgenstein steht Pate

Von Heiner Boberski

Wissen
Sehr einladend: der neue Ludwig-Wittgenstein-Lesesaal.

Ab 6. Mai ist die Nationalbibliothek auch an Sonntagen von 9 bis 21 Uhr geöffnet.


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Wien. Die Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) trägt den Strömen von Benutzern Rechnung. Ab Mai wird der neue Ludwig-Wittgenstein-Forschungslesesaal zugänglich sein, der auf 348 Quadratmetern Fläche in zwei Etagen 64 Plätze aufweist. Dieser Raum im zweiten Stockwerk der Wiener Hofburg soll vor allem "der wissenschaftlichen Community beste Arbeitsbedingungen bieten", erklärte ÖNB-Generaldirektorin Johanna Rachinger am Donnerstag in einer Pressekonferenz an Ort und Stelle.

Der Zutritt zur ehemaligen "Kataloghalle", die bisher intern genutzte Zettelkataloge beherbergte, bleibt Forschern vorbehalten, die nachweislich an einer aktuellen wissenschaftlichen Arbeit (etwa einer Dissertation, Habilitation oder einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF) arbeiten und eine entsprechende Jahreskarte erworben haben. Über die Homepage der Bibliothek haben sich bereits mehr als 50 Personen für diese Karte angemeldet.

Der klimatisierte Lesesaal mit einem einzigartigen Blick auf den Wiener Burggarten umfasst eine Freihandbibliothek von insgesamt 9000 Bänden wichtiger Nachschlagewerke. Alle Plätze haben kabel- und kostenlosen Internetzugang, es gibt auch einen Public-Scanner und Depotfächer zur Aufbewahrung von Unterlagen.

Rachinger freute sich, dass die Präsentation "zufällig" auf den 26. April fiel, den Geburtstag von Ludwig Wittgenstein. Dass der neue Saal nach dem "bedeutendsten österreichischen Philosophen des 20. Jahrhunderts" (Rachinger) benannt ist, beruht freilich nicht auf Zufall. Die Nationalbibliothek erwarb etliche Wittgenstein-Materialien, zuletzt im Sommer 2011 ein Exemplar von seinem "Blue Book", das Vorlesungen Wittgensteins in den Jahren 1933/34 an der Universität Cambridge umfasst. Der Philosoph wollte mit diesem Werk, das in geringer Zahl vervielfältigt und blau eingebunden wurde, seinen Studenten etwas mitgeben, das "in ihren Händen, wenn schon nicht in ihren Köpfen" bleibt, schrieb er dazu an Bertrand Russel.

Die Nationalbibliothek mit ihren fast acht Millionen Einzelobjekten, davon über drei Millionen Büchern, wolle den "bestmöglichen Service bieten", betonte Johanna Rachinger. Sie wies auf etliche Bau- und Sanierungsarbeiten der letzten Jahre hin, vor allem aber auf umfangreiche Digitalisierungsmaßnahmen: Mit Google wurde die Digitalisierung von 400.000 Büchern vereinbart, im Projekt "Anno" stellt man sieben Millionen Zeitungsseiten online, mit der APA kooperiert man bei der Sammlung von Pressefotografien, auch 90.000 Plakate werden nun online zugänglich gemacht.

"Haben gut gewirtschaftet"

Mit dem neuen Saal verfügt die Nationalbibliothek in allen ihren Sälen über 614 Leseplätze, ab 6. Mai weitet sie auch nochmals die Öffnungszeiten aus: Sie hat dann auch am Sonntag von 9 bis 21 Uhr geöffnet. Dass es vor allem während der Prüfungszeiten kaum freie Leseplätze gibt, räumt Rachinger ein. Sie sieht hier Nachholbedarf bei den Universitäten, denen offenbar Investitionen in ihre Bibliothekseinrichtungen derzeit kaum möglich sind.

Der aus eigenen Mitteln finanzierte Forschungslesesaal hat 2,1 Millionen Euro gekostet. "Wir haben in den letzten Jahren gut gewirtschaftet", sagt Rachinger auch mit Blick auf steigende Besucherzahlen - und Einnahmen - in den musealen Einrichtungen des Hauses (Prunksaal, Papyrus-, Globen- und Esperantomuseum): von 2010 auf 2011 um 7,1 Prozent, im ersten Quartal 2012 sogar um 29,3 Prozent. Dennoch müsse 2014, wenn die Rücklagen aufgebraucht seien, eine Erhöhung der Basisfinanzierung erfolgen, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Große Projekte stehen bevor: etwa das Literaturmuseum im ehemaligen Hofkammerarchiv, der Tiefenspeicher unter dem Heldenplatz. Im heurigen Herbst will die Generaldirektorin "Visionen 2025" für ihr Haus präsentieren.