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WM für Klischeeologen

Von Tamara Arthofer

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Tamara Arthofer
Tamara Arthofer ist Sport-Ressortleiterin.

Die Teams treten bei dieser WM so sympathisch auf, dass man gar nicht weiß, zu wem man nicht halten soll. Das wird langsam zum Problem.


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Großveranstaltungen sind eine beliebte Spielwiese für Klischeeologen, das zeigt sich auch bei dieser WM: Wir wissen jetzt, dass die Bewohner Costa Ricas ein glückliches Völkchen sind, und sehen uns bestätigt, dass die Deutschen Selbiges zumindest im Fußball sind; die Niederländer sind laut, die Lateinamerikaner leidenschaftlich. Natürlich sind solch Schubladisierungen, ganz allgemein gesprochen, zu verallgemeinernd und oftmals schwachsinnig. Schließlich finden sich in den Kleiderschränken der Niederländer durchaus andere als nur orange Gewänder; und nicht bei jedem Uruguayer muss man Angst haben, gebissen zu werden. Trotzdem fragt man sich irgendwie, was die Österreicher verkörpern würden. Die sind ja bekanntlich eher, naja, abwesend - und das ist ein Etikett, das man sich aus verschiedenen Gründen nicht so gerne auf die Stirn pickt. Natürlich macht eine WM trotzdem auch als Zuschauer Spaß. Man kann sich für Teams freuen, sich über andere ärgern, was der gelernte (Ost-)Österreicher ja - Klischee! - auch ganz gerne tut. Doch diesmal hat man sogar damit ein Problem. Denn die meisten Teams treten in Brasilien so sympathisch auf, dass man nicht einmal mehr weiß, zu wem man nicht halten soll. Zum Beispiel das Viertelfinale Belgien gegen Argentinien: Bei den Belgiern hatte man nach der Gruppenphase befürchtet, sie würde das Schicksal so mancher Geheimfavoriten ereilen, ihre Stärken derart geheim zu halten, dass sie sich zum Geh-Heim-Favoriten entwickeln würden. Dann drehten sie gegen die USA in einem Maße auf, dass es ein Jammer wäre, würde man nicht mehr von ihnen sehen. Auf der anderen Seite wäre es auch irgendwie traurig, müsste Lionel Messi eine WM schon wieder nach einem Viertelfinale beenden.

Und irgendwie leidet man auch mit ihren im Achtelfinale unterlegenen Gegnern: Die Schweiz ist zwar ebenso verdient ausgeschieden wie das US-Team, andererseits hätte man Ottmar Hitzfeld einen anderen Abtritt gewünscht, als am Tag nach dem Tod seines Bruders so knapp dem Aufstieg zu entgehen. Und mit den Amerikanern musste sich auch Andreas Herzog verabschieden. Und sonst? Natürlich wird jeder seinen sentimentalen Favoriten haben, doch wem gönnt man denn wirklich von Herzen das Aus? Kolumbien, dem so gebeutelten Land, das endlich auf dem Weg zu Frieden und Stabilität ist? Brasilien, das sich zwar sosolala durchschummelt, aber trotz allem für ein begeisterndes Fußballfest sorgt? Costa Rica, das sich als Außenseiter durchgekämpft hat? Traditionsgemäß den Deutschen, okay, aber auch die sind nicht mehr das, was sie einmal waren, nämlich ein verlässlicher Grant-Garant. Bleibt die Hoffnung, dass die Österreicher irgendwann einmal wieder etwas anderes als abwesend sind. Dann weiß man wenigstens, wem man wirklich die Daumen halten kann - und, wenn alle Stricke reißen, über wen es sich trefflich ärgern lässt.