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Noch keine Mannschaft hat sich als großer Titelfavorit herauskristallisiert. Das gibt dem Turnier einen besonderen Reiz.
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Es war ein Hängen und Würgen, das Argentinien gegen defensive Schweizer veranstaltete. Die Albiceleste vermittelte den Eindruck, dass sie nur ein Rezept kennt: nämlich dass es irgendein Geniestreich von Lionel Messi oder im Notfall der am Flügel auf und ab rackernde Ángel di María schon richten werden.
Dass dafür auch einmal die anderen Mitspieler schnell kombinieren oder durch unkonventionelle Laufwege Raum schaffen könnten (auf diese Weise wird ja Messi beim FC Barcelona ins Spiel gebracht), schien nicht so ganz Teil des Plans zu sein. Schließlich ist doch alles gut gegangen, weil dann Messi noch seinen Antritt hatte und den Ball di María zum 1:0-Siegtreffer servierte.
Aber sind diese vor der Weltmeisterschaft so hoch gehandelten Argentinier, die schon in der Vorrunde, beim wenig glorreichen 1:0 gegen den Iran genau so agierten, noch Turnierfavoriten? Kann das eine WM lang gut gehen, das ganze Spiel derart um einen Akteur herum zu gruppieren?
Aber wer ist dann der Favorit? Die Brasilianer? Die machen ja fast dasselbe wie die Argentinier, was für die einen Messi ist, ist für die anderen Neymar. Und das Glück haben auch schon beide Mannschaften genügend strapaziert, die Schweizer trafen gegen die Albiceleste am Ende noch die Stange, und bei Brasilien fehlten beim Lattentreffer des Chilenen Mauricio Pinilla nur ein paar Zentimeter zur nationalen Tragödie.
Also vielleicht die Deutschen? Die ließen sich von den Algeriern mit einfachen, direkten Pässen aushebeln. Die Niederländer? Die kamen gegen Mexiko ordentlich in Bedrängnis, und hätten die Mittelamerikaner nicht bei diesem Eckball am Ende Wesley Sneijder derart übersehen, wären die Oranjes vielleicht auch schon draußen.
Niemand ist derzeit der große Turnierfavorit. Bei der jüngsten WM - und noch stärker bei der Euro 2012 - war das anders. Die Spanier waren zwar nicht unbesiegbar, aber sie hatten sich im Verlaufe der Turniere als dominantestes Team herauskristallisiert und standen an der Spitze der Favoritenpyramide.
Diesmal aber spricht vieles gegen jede einzelne der schon vor der WM zum Favoritenkreis zählenden Mannschaften. Und es spricht auch vieles für sie. Ein Messi kann schließlich immer mit einer Einzelaktion ein Spiel entscheiden. Die Deutschen waren am Ende oft dann besonders erfolgreich, wenn sie durch Turniere wankten.
Das gibt dieser WM einen besonderen Reiz. Auch Frankreich, Belgien und Costa Rica müssen derzeit keine übermächtigen Gegner fürchten und können vom großen Coup träumen (gut, bei Costa Rica ist das jetzt ein bisschen phantastisch, aber das war schon der Aufstieg in der Vorrunde).
Ein Team gibt es aber doch, das bei all seinen vier Siegen auch noch sehr souverän spielte: Kolumbien. Die Cafeteros zeigten gegen Griechenland, die Elfenbeinküste, Japan und Uruguay, welch spielerische Stärke sie besitzen.
Aber auch gegen Kolumbien spricht etwas. Die allerschwersten Brocken waren noch nicht dabei (schließlich spielte Uruguay ohne Luis Suárez). Zudem holt in der Regel doch eine der Nationen den Titel, die schon im Vorfeld als Fußball-Großmächte und Turnierfavoriten galten. Und damit wären wir wieder bei Argentinien, Brasilien oder Deutschland.