Warum werden "Leistungsträger" um so viel höher entlohnt als der Durchschnittarbeitnehmer? Leisten sie denn das 20-, 30- oder gar 100-fache eines "Normal- verdieners"?
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Generaldirektoren börsenotierter Unternehmen verdienen in Österreich durchschnittlich 1 Million Euro im Jahr, Vorstandsmitglieder kommen auf 750.000 Euro. Andreas Treichl, Chef der Erste Bank Group, verdient gar 2,6 Millionen Euro, was dem zehnfachen Bezug des Bundeskanzlers entspricht, so war vor kurzem den Medien zu entnehmen. Die Spitzengehälter bei den übrigen Banken werden wohl ähnlich sein.
Wo bleibt da der Aufschrei, wenn angesichts der Finanzkrise Summen in Milliardenhöhe zur Verfügung gestellt werden, die die Staatsverschuldung anheizen und letztlich den "Normalverdiener" treffen, der vielleicht auf 30.000 bis 40.000 Euro im Jahr kommt? Warum wird nicht öffentlich über die Unangemessenheit von solchen Einkommensunterschieden gesprochen? Leistungsträger müssen hoch entlohnt werden, sonst wandern sie ab, so lautet das gängige Argument zur Rechtfertigung der "Spitzengehälter". Manche verkürzen sogar und meinen nur "Leistung muss sich lohnen".
Dagegen spricht: Geld ist nicht das einzige Motiv für Leistung, insbesondere wenn man ohnedies schon genug davon hat. Und überdies ist es unmöglich, dass jemand das 20-, 30- oder gar 100-fache des Durchschnittarbeitnehmers leistet - in diesen Größenverhältnissen bewegen sich die Einkommensunterschiede - der Tag hat für alle Menschen nur 24 Stunden und schlafen müssen auch Spitzenmanager.
Das Bild vom Leistungsträger mit dem notwendigen Spitzeneinkommen ist ein Mythos, der wohl aufrechterhalten werden kann, solange ihn Bevölkerung und Politik akzeptieren. Der Vorwurf gilt nicht denen, die diese Summen kassieren, sondern uns allen, die dies zulassen. Nur wenn sich die öffentliche Meinung ändert, verliert dieses Bezüge-System seine Legitimationsgrundlage.
Leider setzt die geplante Steuerreform hier falsche Signale. Diese entlastet wohl Familien mit Kindern, was sinnvoll ist, sie bevorzugt jedoch - dies wird meist unterschlagen - insbesondere die Besserverdienenden. Wer mehr verdient, hat mehr von der Steuerreform. Bei einem Bruttomonatsbezug von 6000 Euro bleiben netto im Jahr 1350 (ohne Kinder) bis 3800 Euro (zwei Kinder). Bei einem Bruttomonatsbezug von 1800 Euro sind es nur 500 Euro (ohne Kinder), 1150 Euro (ein Kind) oder 1500 Euro (zwei Kinder).
Menschen mit einem Niedrigsteinkommen von 1000 Euro im Monat, die wohl den größten Bedarf an zusätzlichen Mitteln haben, bekommen nichts, wenn sie keine Kinder haben, oder fast nichts - nämlich knapp 90 Euro (!) im Jahr - bei einem oder zwei Kindern.
Unterstützung für andere veränderte Einkommensverteilung könnte aus der Lebensqualitätsforschung kommen, die besagt, dass die Zufriedenheit ab einem gewissen Einkommensniveau nicht mehr steigt. Dafür gibt es mehrere Gründe, etwa die Anspruchsfalle: Je mehr wir haben, umso mehr wollen wir dazu, ohne deswegen glücklicher zu werden. Oder die Statusfalle: Wir glauben haben zu müssen, was andere auch haben, ohne es eigentlich zu brauchen. Forschungen zeigen aber auch, dass die Zufriedenheit in Ländern mit niedrigen Einkommens- und Vermögensspreizungen höher ist. Es geht uns besser, wenn wir das Gefühl haben, dass es gerecht zugeht in einer Gesellschaft.
Hohe Einkommensdifferenzen sind daher für ein gedeihliches Zusammenleben kontraproduktiv. Sie sind aber auch volkswirtschaftlich schädlich. Denn Menschen mit niedrigerem Einkommen geben dieses in der Regel für Basiskonsum im eigenen Land aus. Bei Luxuskonsum geht die Kaufkraft häufig ins Ausland, etwa für Fernreisen. Der Havard-Ökonom Richard Layard fordert daher ein Steuersystem, dass es weniger lukrativ macht, viel zu verdienen. Ist der Steueranteil hoch, gehen die Spitzengehälter zurück, und es steigt der Anreiz, weniger zu arbeiten. Weniger-Arbeiten wiederum entlastet den Arbeitsmarkt, da die Arbeit auf mehrere Schultern verteilt wird.
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