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Wie taub, blind und gefühllos sind wir in Bezug auf die syrische Tragödie geworden? Die EU spielt dabei eine traurige Rolle, nämlich keine.
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Es ist noch kein Jahr her, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit den Stimmen aller Veto-Mächte, also auch Russlands, die inzwischen weitgehend in Vergessenheit geratene Resolution 2254 zu Syrien beschlossen hat. Da ging es noch um die Selbstbestimmung Syriens, die Ausarbeitung einer neue Verfassung, freie Wahlen innerhalb von 18 Monaten, eine Waffenruhe, den ungehinderten Zugang humanitärer Institutionen, den sofortigen Stopp aller Angriffe auf die Zivilbevölkerung . . .
Und wo stehen wir heute? Genau wissen wir es nicht, aber in den Kämpfen sind zwischen 250.000 bis 400.000 Menschen umgekommen, fünf Million Syrer sind zu Flüchtlingen geworden. Aleppo ist das jüngste Beispiel für die ungeheure Brutalität, mit der die Zivilbevölkerung durch Aushungern, menschenverachtende Bombenangriffe auf Hilfskonvois, Spitäler und Kinderspielplätze, Zerstörung der Wasser- und Energieinfrastruktur getötet und zermürbt wird.
Wie taub, blind und gefühllos sind wir geworden, dass wir die syrische Tragödie, möglicherweise mit großer persönlicher Anteilnahme, im Übrigen aber ohne öffentlichen Aufschrei, ohne massives Engagement der EU, ohne Regierungs- und Parlamentsresolutionen, vor allem aber ohne Massendemonstrationen vor den zuständigen Botschaften an uns abgleiten lassen?
Die EU spielt dabei eine traurige Rolle, nämlich keine. Und dennoch ist die Union unverzichtbar im Vergleich mit dem beängstigenden Szenario eines in Nationalstaaten aufgespaltenen und zerstrittenen Kontinents. Allerdings bedarf es endlich einer gemeinsamen europäischen Außen- und Militärpolitik, damit Europa eine Rolle als internationaler Player übernehmen kann. Die Vereinten Nationen sind, wie das Schicksal der Resolution 2254 zeigt, ein Spielball der Vetomächte im UN-Sicherheitsrat. Russland arbeitet unter schwerstem Bruch internationalen Rechts auf den "Endsieg" eines der grausamsten Regimes der Region - nämlich jenes von Baschar Al-Assad - hin, statt gemeinsam mit den USA eine nachhaltige Friedenslösung zu erarbeiten.
Unverständlich ist auch das freundliche Desinteresse in Österreich an der syrischen Tragödie. Warum sieht man von den zehntausenden Flüchtlingshelfern des vergangenen Jahres nicht zumindest einige Hundertschaften einmal wöchentlich auf der Straße? Ging es beim Kampf um einen Auwald oder gegen die demokratisch legitimierte Regierung von Kanzler Wolfgang Schüssel um so viel höherwertige Anliegen? Offenbar ist jener Teil der Zivilgesellschaft (mit Ausnahme der aktiv in der Syrien-Hilfe engagierten karitativen Organisationen), der sich traditionell für Menschenrechte und gegen Kriege und Gräuel engagiert, voll mit Gendern, politischer Korrektheit, dem Kampf gegen Plastiksackerl und Ceta sowie täglicher Anprangerung der ungerechten Vermögensverteilung ausgelastet. Dazu kommt noch die gar nicht so kleine Gruppe der "Russland-Versteher". Immerhin hat der britische Außenminister Boris Johnson die Bevölkerung aufgerufen, sich an Protestdemonstrationen vor der russischen Botschaft zu beteiligen. Auch in dieser Beziehung wird uns Großbritannien in der EU fehlen.