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Wo bleibt die Vorreiterrolle?

Von Thomas Roithner

Gastkommentare
Thomas Roithner ist Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und Forschungsdirektor am Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) auf Burg Schlaining. Das ÖSFK ist Teil des Conflict-Peace-Democracy-Clusters.

Österreich braucht eine Strategie für eine Außen- und Sicherheitspolitik mit friedlichen Mitteln.


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Rainer Nikowitz stellte in seinen satirischen Zusatzvereinbarungen zum Koalitionspakt der aktuellen Regierung im "Profil" fest, die Regierungsspitzen sprächen künftig im Rahmen der EU "ausnahmslos mit einer gemeinsamen Stimme: mit jener Angela Merkels". Einer guten Satire wohnt stets ein wahrer Kern inne - und manchmal auch Spuren einer Tragödie. Dieser wahre Kern kreist besonders um die Außen- und Sicherheitspolitik. Die beschämenden Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit und die geringen Leistungen für die UN-Sonderorganisationen ergänzen das Bild von Österreichs globaler Rolle in Medien, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.

Die Ukraine-Krise bietet allerdings eine Chance, Konturen auf Basis der Neutralität zu entwickeln. Eine außenpolitisch uneinige EU darf die Formulierung einer österreichischen Position und Strategie nicht lähmen. Im Gegenteil: Eine kluge Strategie kann auch für andere Staaten und eine unterstützende Zivilgesellschaft tonangebend sein. Die Erfahrungen mit der Neutralität seit 1955 können beim Balanceakt zwischen den Konfliktakteuren besonders hilfreich sein. Die EU selbst - so Kritiker - ist kein Vermittler, sondern Konfliktpartei, und die Neutralität wird auch von Russland geschätzt.

Neben der geoökonomischen Dimension ist eine durch die unbesonnene Nato-Osterweiterungspolitik, mehrere völkerrechtlich illegale, zweifelhafte oder mandatsüberschreitende Kriege (vom Kosovo bis Libyen), Raketenabwehr oder Rüstungsbeschränkungen befeuerte Debatte um einen neuen Kalten Krieg nicht im Interesse Europas und Österreichs.

Nicht selten sind außen- und sicherheitspolitische Fragen jedoch eine Funktion aus innenpolitischen Befindlichkeiten. So wurde 2013 das Volk zur Wehrpflicht befragt (SPÖ und ÖVP beschädigten dabei durch kurzfristige 180-Grad-Wendung ihre jeweilige sicherheitspolitische Glaubwürdigkeit), während die wesentlich diskussionswürdigere Sicherheitsstrategie vom März 2011 bis zur Beschlussfassung im Juli 2013 weitgehend unbeachtet im Parlament lag.

Die nationalstaatliche außenpolitische Dimension gerät völlig in den Hintergrund. Das Ende des Pipeline-Projektes Nabucco offenbarte auch, dass Österreich seine Außenpolitik vergeblich den Wirtschaftsinteressen (insbesondere der OMV) untergeordnet hat.

Die Kritik veranlasste Außenminister Sebastian Kurz, einen Strategie- und Planungsstab zu schaffen, der eine langfristige Vision entwickeln soll. Die Vorschläge aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft für eine engagierte Neutralitätspolitik mit gewaltfreien Mitteln erscheinen als zukunftsfähiges Modell einer international glaubwürdigen Friedenspolitik. Trotz der umfassenden Expertise beim zivilen Krisenmanagement bemüht sich Österreich bisher leider nicht um eine besonders exponierte Vorreiterrolle im Sinne eines zivilen Kerneuropas.

Der Prozess zur Diskussion der Sicherheitsstrategie, des Wehrsystems oder der Ukraine-Krise wurde für eine breite öffentliche Reflexion über die heutige Rolle Österreichs (100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges, 25 Jahre nach der Wende 1989, 20 Jahre nach der EU-Volksabstimmung) und über den außen-, sicherheits- und friedenspolitischen Charakter der Republik bisher leider nicht genutzt.