Zum Hauptinhalt springen

Wo Bürokraten "Amok laufen"

Von Michael Schmölzer

Politik

Trumps Mann für den Botschafter-Posten in Brüssel würde keinen Penny auf den Bestand des Euro wetten.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Brüssel/Washington/Moskau. Die Europäische Union ist stärker in Bedrängnis denn je. Im Osten arbeitet Russlands Präsident Wladimir Putin mit Volldampf daran, das Einigungsprojekt zu zerstören. Im Inneren läuft ein schleichender Zersetzungsprozess. Und im Westen fährt jetzt der neue US-Präsident Donald Trump schwere Geschütze auf: Letzteres ist neu und bedrohlich, denn sein Amtsvorgänger Barack Obama war dem europäischen Einigungsprozess wohlgesinnt. Der Demokrat leistete Überzeugungsarbeit, um die Briten von einem Ja zum Brexit abzuhalten. Obama kam sogar extra nach London, um die Werbetrommel für Zusammenhalt zu rühren.

Das hat sich grundlegend geändert: Was Trump von der EU hält, lässt er den sagen, den er als neuen Botschafter in Brüssel vorgesehen hat. Ted Malloch. Für Malloch ist die Europäische Union eine "supranationale Organisation, ungewählt, in der Bürokraten Amok laufen" und ganz bestimmt "keine echte Demokratie". Der Euro, so Malloch in einer BBC-Sendung, "könnte in einem oder anderthalb Jahren zusammenbrechen". EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sei "ein ordentlicher Bürgermeister in irgendeiner Stadt in Luxemburg. Vielleicht sollte er dorthin zurückkehren."

Die Gemeinschaftswährung Euro sieht Malloch als "fehlerhaftes Experiment". Säße er an einem Handelsdesk einer Investmentbank, würde er "gegen den Euro wetten". Von seiner Qualifikation zum EU-Botschafter ist Malloch überzeugt, immerhin habe er auf einem früheren diplomatischen Posten "geholfen, die Sowjetunion zu stürzen. Vielleicht gibt es eine weitere Union, die ein wenig gezähmt werden muss."

Aufschrei in Europa

So spricht der, der mit einiger Wahrscheinlichkeit nächster US-Botschafter bei der EU wird. Derzeit ist Malloch Professor für "Strategische Führung" an der englischen Universität Reading. Es sei nicht sein Job, den Europäern nach dem Mund zu reden, sondern die Interessen seiner Regierung zu vertreten, so Malloch.

Oft spekuliert der leidenschaftliche Brexit-Befürworter über den Zerfall der EU: "Die Mitgliedstaaten werden demokratisch entscheiden, ob die EU ein eher wirtschaftliches oder politisches Gebilde wird, oder ob sie zusammenbricht." Diese Entscheidungen würden schon in den nächsten Monaten fallen, immerhin stünden Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich an, wo sich bedeutende EU-Gegner in Stellung gebracht haben. Den Briten empfiehlt er, nicht auf den formellen Austritt zu warten, sondern EU-Recht zu umgehen und nach 90 Tagen einen Handelsvertrag mit den USA zu schließen. London dürfte derartige Verhandlungen gar nicht führen, weil die Befugnis dafür bei der Kommission liegt. Und solange Großbritannien EU-Mitglied ist - was noch länger der Fall sein kann -, ist es daran gebunden.

Klar ist: Trump will die EU nicht und er will mit ihr nicht zusammenarbeiten. "TTIP ist tot", lässt er via Malloch über den US-europäischen Freihandelsvertrag ausrichten, einen Ersatz werde es nicht geben. Dass es die EU bald nicht mehr gibt, ist für Malloch "eine Annahme".

Der Aufschrei in Europa ist natürlich enorm, zahlreiche EU-Parlamentarier wollen Malloch die Akkreditierung verweigern. Das ist ein ungewöhnlicher Akt und geschieht im Normalfall nur bei Vertretern, die von afrikanischen Diktaturen entsandt werden. Einige wollen Malloch sogar zur "Persona non grata" erklären. Was das Problem natürlich nicht lösen würde, denn dieses ist nicht Malloch, sondern der Mann, dessen Gedankengut er transportiert. Also Donald Trump.

Brüssel ist verstört und wütend, das lässt sich erahnen, wenn man EU-Ratspräsident Donald Tusk zuhört. Der hat sich bei einem jüngsten Statement zum Thema schlichtweg geweigert, den Namen Trump überhaupt in den Mund zu nehmen. Die Politik der US-Regierung hat er zuletzt als Bedrohung bezeichnet und in eine Reihe mit Russlands Aggressionen und dem Terror des "Islamischen Staats" gestellt.

In Europa ist man sich der Gefahr bewusst, versucht aber den Eindruck von Gelassenheit zu erwecken. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident François Hollande und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mahnten am EU-Gipfel in Malta zur Geschlossenheit. Er habe den Verdacht, dass die US-Regierung Europa nicht verstehe, fügte Juncker hinzu. Und Außenbeauftragte Federica Mogherini mutmaßte, dass möglicherweise nicht die EU, sondern die USA bald ein Problem hätten.

Putin spaltet EU

Während man sich in Brüssel Mut zuspricht, ist Russlands Präsident Wladimir Putin intensiv bemüht, die EU zu spalten und von innen auszuhöhlen. Das war am Donnerstag bei seinem Besuch in Budapest klar zu beobachten. Der Kremlherr traf Ungarns Premier Viktor Orbán, doch nur vordergründig ging es um einige Kooperationsprojekte auf wirtschaftlicher Ebene - Gasgeschäfte, den Ausbau der Budapester Metro und des Atomkraftwerkes Paks. "Für Putin ist es wichtig, dass er demonstrieren kann, wie gespalten die EU in der Frage der Sanktionen gegen Russland ist, während Orbán seinerseits zeigen möchte, dass Russland Ungarn stark unterstützt und man sich dafür unter den neuen internationalen Gegebenheiten, also nach der Wahl Trumps, nicht mehr schämen muss", zitiert der "Spiegel" den Politologen Péter Krekó vom Budapester Institut Political Capital.

Zugleich nutzt Orbán die Sanktionsfrage neben seiner Flüchtlingspolitik auch als Hebel für seine Reformpläne. Der Premier mit autoritären Tendenzen möchte die EU zu einem "Europa der Nationen" machen - und würde damit Putins wie Trumps Wünsche erfüllen. Für die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland plädieren in Europa mittlerweile maßgebliche Player. Nicht zuletzt Österreich und die deutsche Industrie. Was nichts daran ändert, dass Moskau die EU schwächen will und dazu einen Propaganda-Feldzug ins Rollen gebracht hat, den etwa der TV-Kanal "Russia today" und die Online-Zeitung "Sputnik" transportieren.

Le Pen kündigt "Frexit" an

Parallel dazu geht der Zersetzungsprozess im Inneren weiter. Die Brexit ist Tatsache, die britische Premierminister Theresa May treibt den Ausstieg voran. Frankreich segelt in unsicheren Gewässern und bereitet EU-Befürwortern Kopfzerbrechen. Lange schien der konservative Kandidat François Fillon der logische Nachfolger des glücklosen François Hollande zu sein, doch auch das hat sich grundlegend geändert. Das ist bedenklich, weil sich Fillon zu Europa bekennt, auch wenn er immer wieder von einer "Gemeinschaft der Nationen" spricht, also fordert, dass jedes Land souverän bliebe. In vielen Fragen will er aber mehr Europa.

Während die französische Linke in Agonie dahindämmert, ist die Reputation Fillons so schwer angeschlagen, dass selbst Parteifreunde von einer Kandidatur abraten. Der Konservative liefert erbitterte Rückzuggefechte, Insidern zufolge wird in seiner Partei ein Plan B diskutiert, falls die Justiz ein Verfahren wegen falscher Abrechnungen einleitet.

Dass die Chefin des rechtspopulistischen Front National, Marine Le Pen, in den zweiten Wahlgang kommt, erscheint wahrscheinlich, dass sie ihn gewinnt, als möglich. Für diesen Fall hat sie bereits ein Referendum über den Austritt aus der EU angekündigt. "Man kann sich recht schnell auf die Verhandlung für den ‚Frexit" einigen", so Le Pen. Nach einem möglichen Wahlsieg im Mai will sie jedenfalls sofort nach Brüssel reisen, um die Oberhoheit über Währung, Gesetzgebung, Haushalt und das nationale Territorium wiederzuerlangen. Sollte sich die EU weigern, würde sie ihren Bürgern raten, die Gemeinschaft zu verlassen.

Die verbleibende Rest-EU würde sich wohl in absehbarer Zeit auflösen.