Zum Hauptinhalt springen

Wo der Schuh drückt

Von Sabine M. Fischer

Gastkommentare
Sabine M. Fischer ist Inhaberin von Symfony Consulting, Wirtschaftspädagogin und Human-Resources-Unternehmensberaterin.

Sozialpartner, Migration, Unternehmertum: Viele Entscheidungsträger in Österreich sind zu weit weg vom Alltagsleben.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Ich ersuche, von kalmierenden Schreiben abzusehen und ganz einfach die lokalen Missstände kurzfristig zu beheben." Dieser Aufschrei eines "einfachen Bürgers von der Straße" steht stellvertretend für den Unmut, der sich in Bevölkerung und Betrieben über eine Politik des Beschwichtigens ohne Lösungshandlung breitgemacht hat.

Niemand hat so viele direkte Kontakte zu unterschiedlichen Akteuren der österreichischen Wirtschaft wie die gesetzlichen und freiwilligen Interessensvertreter. Erschreckend oft fehlt allerdings den Top-Entscheidern die Kenntnis über die Alltagsherausforderungen, die durch unser sehr komplexes Wirtschaftssystem mit einem vielfältigen Regelwerk (seit 1945 auch mit Hilfe der Sozialpartner aufgebaut) bestehen.

Ein österreichisches Unternehmen steht heute unter zweifachem Druck: Einerseits ist die Kundenerwartung aufgrund des starken (globalen) Wettbewerbs sehr hoch, andererseits sind vielfach komplizierte, aufwendige behördliche Vorgaben zu erfüllen. Zum Beispiel gibt es in Österreich niemanden mehr, der meint, dass eine Gehaltsabrechnung zu 100 Prozent legal durchführbar ist. Denn aufgrund von politischen Verhandlungen sind die Vorschriften in der Alltagsrealität nicht mehr alle gleichzeitig erfüllbar. Damit kommt zum eigentlichen unternehmerischen Risiko noch ein weiteres hinzu: das Risiko behördlicher Entscheidungen inklusive jener der Gebietskrankenkassen. Rechtssicherheit ist aber die Basis jedes erfolgreichen wirtschaftlichen Handelns in einer entwickelten Gesellschaft.

Weiters benötigt ein Unternehmen, damit es Produkte und Dienstleistungen verkaufen kann, eine verlässliche Infrastruktur - auch und gerade hinsichtlich der Bildung der Bevölkerung. Denn Produkte und Vorschriften werden immer komplizierter. Wie in vielen anderen Punkten zeigt hier die Flüchtlingssituation die Problematik im Brennglas: Unternehmer sind durch die Gehilfenhaftung gemäß Paragraf 1313a und 1315 ABGB (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) für die ordnungsgemäße Einhaltung aller Vorschriften durch ihre Angestellten voll haftbar - unabhängig von der Herkunft der Person. Notwendig sind demnach fundierte Deutschkenntnisse zur Verständigung mit anderen Mitarbeitern, Führungskräften und Kunden und eine solide Basis an Wissen über Rechte und Umgangsformen in der Wirtschaft.

Dies gilt nicht nur für erst vor kurzem angekommene Flüchtlinge, sondern ebenfalls für Migranten der zweiten und dritten Generation. Denn auch dort gibt es große Defizite, weil viele Reformen in Österreich, zum Beispiel im Bildungsbereich, nicht nach konkretem Hinschauen auf das Geschehen im Alltag entschieden und die Regelungen nicht aufgrund ihrer tatsächlichen Auswirkungen im täglichen Leben evaluiert und gegebenenfalls angepasst werden. Entscheidungsträger in Österreich sind zu weit weg vom Alltagsleben. Hier könnten die Sozialpartner mit einem praktischen Ansatz aus der Unternehmerwelt vorangehen: Einmal im Jahr als Top-Führungskräfte "ganz unten" arbeiten und Seite an Seite mit den einfachen Mitarbeitern und im direkten Gespräch mit den Kunden, erfahren, wo der Schuh drückt.