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Wo Deutschland vorne liegt

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Welche Strategie im Kampf gegen die Pandemie die richtige ist, wird erst im Nachhinein klar sein.


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Es kommt nicht von ungefähr, dass der Beruf des Spitzenpolitikers mitunter mit dem des Schauspielers verglichen wird. Beide müssen so tun, als ob: Der Schauspieler, als wäre er eine andere Person, der Politiker, als hätte er jede Situation allzeit unter Kontrolle.

Aus naheliegenden Gründen erwarten die Menschen, dass diejenigen, die an der Spitze stehen, nicht nur den Überblick haben, sondern auch wissen, was sie tun und welche Folgen dies haben wird. Und dieses Selbstvertrauen muss natürlich auch inszeniert werden, weshalb Politikern die schlichten Worte "ich habe mich geirrt" oder "ja, ich hatte unrecht" nicht einmal dann über die Lippen kommen, wenn sie von Selbstzweifeln geplagt werden sollten.

Sich zu irren und Fehler einzugestehen, verträgt sich nicht mit dem Bild, das sich die Menschen von ihren Spitzenpolitikern machen. Diese spezifische Verhaltensauffälligkeit hat den Zweck, Sicherheit auszustrahlen, was wiederum auch gleichzeitig Sicherheit schafft, selbst wenn es diese Sicherheit in Wirklichkeit gar nicht gibt und in einer Situation wie der Corona-Krise gar nicht geben kann.

Welche Strategie richtig, welche Maßnahme - Schwedens eher liberaler Zugang, Österreichs eher restriktiver, detto das Vorgehen beim Wiederhochfahren? - tatsächlich sinnvoll im Kampf gegen das Virus ist, lässt sich mit Gewissheit erst im Nachhinein feststellen. Selbst dann wird das Ergebnis womöglich davon abhängen, wie man ein paar hundert Tote mehr gegen ein paar Euro-Milliarden an Schadenssumme gegeneinander aufrechnet. Und sogar diese Kalkulation wird sich mit der unmittelbaren Betroffenheit und dem zeitlichen Abstand verändern.

Wenn Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel die Corona-Pandemie nun eine "demokratische Zumutung" nennt, dann hat sie zweifellos recht. Das betrifft allerdings nicht nur die Einschnitte in die demokratischen Freiheitsrechte, sondern auch die Art, wie derzeit Entscheidungen getroffen werden müssen. Nämlich ohne Gewissheit, ob das, was beschlossen, was unterlassen wird, tatsächlich der beste Weg ist. Und schlimmer: Wir wissen noch nicht einmal, worin dieser beste Weg tatsächlich besteht.

"Wir werden miteinander wahrscheinlich viel verzeihen müssen in ein paar Monaten", meinte der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn vor einigen Tagen. Zumindest bei dieser Erkenntnis sind die Deutschen uns dann doch wieder voraus. Wobei Spahn sich nur den Kanzler zutraut, ihn aber noch nicht spielen muss.