Alle reden über den Verbindungstunnel unter dem Lainzer Tiergarten, obwohl der noch nicht einmal baugenehmigt ist. Relativ unbemerkt von der Öffentlichkeit entsteht westlich von Wien aber ein gut doppelt so großes und sehr wohl baugenehmigtes Tunnelprojekt, das in vielerlei Hinsicht bemerkenswert ist: der 11,6 Kilometer lange Wienerwaldtunnel. Er ist wichtiger Teil der bereits in Bau befindlichen, neuen Hochleistungs-Westbahnstrecke Wien-St. Pölten, auf der man ab 2012 mit gut 200 km/h verkehren können wird.
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42,3 Kilometer zweigleisiger Bahnstrecke werden hier um 1,3 Mrd. Euro komplett neu errichtet, sodass zusammen mit der alten Westbahntrasse dann vier vollwertige Gleise für Güter-, Personenfern-, sowie Regionalzüge zur Verfügung stehen. Diese Strecke ist wiederum sowohl Bestandteil des viergleisigen Westbahnausbaus Wien-Wels, als auch der Weiterführung über den Lainzer Tunnel und den geplanten Wiener (Durchzugs-)Zentralbahnhof nach Süden oder Osten.
Während man für den Lainzer Tunnel erst die beiden Anschluss-Stücke Meidling bzw. Hadersdorf-Weidlingau errichtet, laufen die Arbeiten an der Strecke Wien-St. Pölten (ab Landesgrenze Wien/NÖ) bereits ungestört mit voller Kraft. Gilt es doch, den für alle genannten Großprojekte gesteckten Fertigstellungszeitraum bis spätestens 2012 einzuhalten.
Und das ist gerade auf dieser Strecke nicht leicht: Die 42,3 Kilometer müssen fast zur Hälfte durch (insgesamt 7) Tunnel geführt werden, dazu müssen aber (meist vorher) auch noch 27 Brückenobjekte für Bahn, kreuzende Straßen, Wege, Gewässer und Wildwechsel errichtet sowie ein "Regionalbahnhof Tullnerfeld" auf die grüne Wiese gestellt werden, da die Regionalstrecke Tulln-Herzogenburg zwischen Michelhausen und Langenrohr in den Strecken-Neubau einbezogen wird.
Für die drei Bereiche "Wienerwald" (Tunnel ab "Weichenhalle" bis Klein Staasdorf), "Tullnerfeld" (Staasdorf bis Diendorf) sowie "Westabschnitt" (Diendorf bis Knoten Wagram, wo sich die Neubaustrecke wieder mit der "alten" Westbahn vereint) gibt es jeweils ein eigenes Baumanagement. "Wir haben unsere Arbeiten bis ins Detail aufeinander abgestimmt, damit es weder zwischen uns, noch mit der Bevölkerung unnötige Reibereien gibt", erklärt Franz Bauer, Projektleiter für den Wienerwaldtunnel-Abschnitt.
Erdmassen und Bohrgiganten
Warum genaue Planung und Abstimmung so wichtig ist, wird klar, wenn man weiß, dass allein beim doppelröhrigen Wienerwaldtunnel Erdaushub von gut 2,4 Millionen Kubikmeter anfallen dürfte, von dem man etwa die Hälfte aber gleich wieder für riesige Lärmschutzwälle entlang der Strecke im Tullnerfeld verwenden will.
Für die ab Sommer 2005 startenden Tunnelbohrarbeiten werden - in dieser Dimension erstmalig in Österreich - zwei gigantische Bohrmaschinen eingesetzt, die in Deutschland eigens konstruiert werden: 250 Meter lang, 2.000 Tonnen schwer, 6.700 PS stark und mit einem Bohrkopf von fast elf Meter Durchmesser versehen, werden diese sich vom künftigen Westportal bei Chorherrn Tag und Nacht unter dem Purkersdorfer Forst Richtung Wien wühlen.
Weil der Erdaushub aber auch unabhängig von der Witterung ausgestoßen wird, gilt es, auf der freien Strecke vorher tragfähige Streckenbegleitstraßen fertig zu stellen.
Wasser und Wildwechsel
Noch bevor nun aber Trasse samt Begleitstraße angelegt werden kann, muss man querende Wege, Straßen oder Gewässer der Gegend umleiten: "Wir graben uns sowohl durch Felder und Wiesen, als auch knapp an Ortsgebieten vorbei. Und da müssen zahllose neue Brücken und Unterführungen gebaut werden, natürlich auch für das Wild und das Grundwasser", weiß Tullnerfeld-Projektleiter Reinhold Hödl. Sein Team, das auch für den "Kundendienst" zuständig ist, sitzt pikanterweise in der ehemaligen "Eremitage" gegenüber Schloss Judenau. Das Gebäude aus dem 18. Jhdt. wurde mit Hilfe der HL-AG gefällig restauriert und geht nach Abschluss der Arbeiten an die Gemeinde zurück.
Wildquerungen etwa sollten mindestens 15 Meter breit sein, um von den Tieren akzeptiert zu werden. Und um die Grundwassersituation nicht zu beeinflussen, muss die Trasse einerseits durchlässig, gegenüber dem Baukörper aber wiederum dicht sein: Mit dem System "Weiße Wanne", einer wasserdichten Betonschalung, hat man die ideale Lösung für Unterführungsbauwerke gefunden.
Rentiere und Langobarden
Während man die anfänglich zahlreich protestierenden Bürgerinitiativen einigermaßen befrieden konnte (z.B. Staubmessungen), kommen ausgerechnet unsere Ahnen den Arbeitern zeitweise in die Quere: "Wir haben schon einen Langobarden, ein Rentier aus der Jungsteinzeit, ein Kindergrab, Knochen, Goldmünzen und noch vieles mehr anzubieten", schmunzelt Baumanager Franz Weitzendorfer. Mit den seit über einem Jahr im Vorfeld der Arbeiten tätigen Archäologen herrscht aber bestes Einvernehmen. Eine Ausstellung der Funde ist für nächstes Jahr geplant.