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Wo die Briten fehlen werden

Von Siobhán Geets

Politik

Das Ausscheiden aus der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist das größte Risiko, sagt Expertin Mary Kaldor.


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"Wiener Zeitung": Der britische Sicherheitsminister Ben Wallace warnt, ein Brexit ohne Abkommen mit der EU würde das Terrorismusrisiko sowie grenzüberschreitende Kriminalität erhöhen. Die Polizei und Sicherheitsinstitutionen sehen das ebenso. Und Sie?

Mary Kaldor: Ja. Wir können Terrorismus nur durch Überwachung und Geheimdienstarbeit begegnen. Es muss grenzüberschreitende Kooperation geben. Scheidet das Vereinigte Königreich daraus aus, ist das schlecht für alle Beteiligten. Das Problem ist nicht nur, dass Großbritannien aus internationalen Polizeikooperationen ausscheidet, sondern, dass es künftig aus der Außen- und Sicherheitspolitik fällt, die stark zusammenhängen und viel wichtiger sind. Das ist schlecht für beide Seiten, denn das Vereinigte Königreich war hier, neben Deutschland und Frankreich, ein wichtiger Player und Geldgeber. Es geht darum, wie wir in Konfliktregionen wie Syrien, Libyen und Somalia agieren. Das wird sich in einer Welt nach dem Brexit radikal verändern.

Terrororganisationen profitieren von Konflikten. Was bedeutet der Brexit für den Kampf gegen sie?

Wenn er das Ende der Polizei- und Geheimdienstkooperation bedeutet, dann ist das sehr schlecht für die Sicherheit Europas und Großbritanniens. Beim Kampf gegen den Terror geht es vor allem um Prävention - also darum, mögliche terroristische Bedrohungen zu erkennen. Das gelingt nur durch grenzüberschreitende Kooperation. Aber nochmal: Terrorismus ist stark mit Außenpolitik verbunden. Den Islamischen Staat gebe es nicht ohne die Invasion im Irak (völkerrechtswidriger Einmarsch unter US-Präsident George W. Bush 2003, Anm.) und den Krieg in Syrien. Wie wir mit diesen Konflikten im Irak, in Syrien und Libyen umgehen, ist ausschlaggebend. Auch organisiertes Verbrechen und Geldwäsche in Europa hängen damit zusammen. Das Geld, das syrische Warlords und russische Oligarchen in diesen Konflikten machen, wird in der EU - allen voran der britischen Finanzwelt - reingewaschen. Haben wir keine gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik, dann können wir dem nichts entgegensetzen.

Hat Großbritannien nicht immer schon mehr auf die Nato vertraut als auf die EU?

Die EU hat eine sehr wichtige gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik entwickelt mit dem Potenzial, Konflikten weltweit zu begegnen. Während die Nato anachronistisch agiert, ist die Politik der EU potenziell in der Lage, zur globalen Sicherheit beizutragen. Dieses Argument wird in der Brexit-Debatte ausgespart. Ich halte die europäische Sicherheits- und Außenpolitik für viel wichtiger als die Nato. Diese basiert auf der altmodischen Annahme, dass Bedrohungen von Staaten ausgehen. Die europäische Außenpolitik dreht sich um die Frage, wie man Konflikten begegnen kann.

Und zwar?

Großbritannien führte die EU-Marine an, die gegen Piraterie im Indischen Ozean und dem Golf von Aden vorging (EU Navfor Somalia). Diese Rolle wird künftig Spanien übernehmen. Großbritannien war auch der größte Geldgeber der Amisom (African Union Mission in Somalia), einer Friedenssicherungstruppe der Afrikanischen Union. Sie wird in den kommenden drei Jahren abgetakelt - mit verheerenden Konsequenzen.

Gibt es keine Möglichkeit für Großbritannien, trotzdem weiter zu kooperieren?

Doch, und das wird es auch. Aber diese Entscheidung ist bereits gefällt, denn ohne die Garantie Londons, Amisom langfristig zu finanzieren, werden eben andere Bereiche bevorzugt. Großbritannien hat hier eine große Rolle gespielt, nicht nur in der Finanzierung, sondern auch mit seinen Erfahrungen und seinen Fähigkeiten. Das alles wird fehlen. Die EU hat einen eigenen Zugang zu Konflikten, sie legt einen Schwerpunkt auf den Erhalt der Menschenrechte, auf Friedenssicherung. Und das in einer Welt, in der sonst Donald Trump und Wladimir Putin das Sagen haben. Das ist sehr gefährlich.

Werden sie vom Rückzug Großbritanniens profitieren?

Trump hat kein Interesse daran, ein Machtvakuum zu füllen. Es geht aber gar nicht so sehr um ein Machtvakuum, sondern eher um Anarchie, die Länder wie der Iran nutzen könnten. Wenn internationale Großmächte nicht kooperieren, sondern in Wettbewerb stehen, ist das gefährlich. Sie interessieren sich nicht für die Beilegung von Konflikten, sondern wollen ihre Macht ausbauen. Die EU hat ein anderes Konzept von Macht. Sie will Konflikte lösen.

Eine künftige EU-Außengrenze verläuft in Irland - zwischen der Republik und Nordirland. In Dublin geht die Sorge um, dass Großbritannien aus dem Europäischen Haftbefehl ausscheidet. Könnte künftig jemand in Dublin einen Mord begehen und dann über die Grenze verschwinden, weil es dort keine Daten über ihn gibt?

Das wäre der Fall, wenn es kein Abkommen gibt, aber das kann ich mir nicht vorstellen. Und selbst bei keinem Deal würde es wohl noch Kooperationen in bestimmten Bereichen geben.

Die Regierung in Dublin macht sich große Sorgen um die Sicherheit des Landes nach dem Brexit - alles Übertreibung?

Nein, es ist keine Übertreibung. Aber ich glaube nicht an einen Brexit ohne Abkommen. Kein verantwortungsvoller Politiker würde das zulassen.

Glauben Sie noch an Theresa Mays Deal?

Nicht für eine Sekunde! Ich denke, das Parlament wird ihn ablehnen. Die Regierung wird gezwungen sein, Artikel 50 zum EU-Austritt zu verschieben. Die Frage ist, was dann geschieht - ein neues Referendum, eine Labour-Minderheitsregierung, die versucht, ein neues Abkommen zu finden, eine Zollunion mit der EU... Keine Regierung kann so verantwortungslos sein und No-Deal zustimmen.

Labour-Chef Jeremy Corbyn sagt, dass der Brexit auch mit ihm stattfinden wird - und schließt damit ein zweites Referendum aus.

Ja, und es gibt heftige Gegenreaktionen, vor allem innerhalb seiner Partei. Der Plan widerspricht der Linie der Parteikonferenz. Ich denke nicht, dass Corbyn auf diese Weise Neuwahlen gewinnen würde. Laut Meinungsumfragen würde er auf etwa 19 Prozent abstürzen, wenn er den Brexit einfach durchzöge.