Der Film "727 Tage ohne Karamo" offenbart die enormen Hindernisse für binationale Paare in Österreich als Folge von strikter und viel zu komplexer Gesetzgebung.
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Wien. Auf einmal ist die Liebe da, ganz ungeplant. Tauchte einfach auf, auf dem Weg zur Apotheke. "Seine Art war so wunderbar, er wirkte so beruhigend auf mich." Elisabeth Zert erzählt von jenem Tag, sie flüstert es. Dann beginnt sie in Ordnern zu suchen, die um sie herum verteilt liegen, wühlt sich durch Dokumente, um das wiederzubekommen, was ihr einst vor der Apotheke zugeflogen war, und was ihr das Gesetz wieder genommen hat: ihren Partner, einen Nigerianer.
Elisabeth Zert ist eine von rund zwei Dutzend Protagonistinnen, die in der heute, Freitag, in die Kinos kommenden Dokumentation "Die 727 Tage ohne Karamo" über das erzählen, was sich zwischen ihrer Liebe und dem Glück aufgebaut hat, über ein riesig gewordenes Hindernis namens Fremdenrecht. Es sind nüchterne Schilderungen, bisweilen surreal wirkende Berichte, mit denen die Filmemacherin Anja Salomonowitz vom Alltag binationaler Paare in Österreich erzählt. Von einem Alltag, der zu einem Kampf geworden ist.
Als am 1. Jänner 2006 das seither gültige Fremdenrechtsgesetz in Kraft trat, änderte sich das Leben für Paare, bei denen ein Part aus einem Drittland kommt, drastisch. Plötzlich war ein Mindesteinkommen verpflichtend, den der österreichische Teil verdienen musste, damit sein ausländischer Partner ein Aufenthaltsrecht erhält. Es liegt derzeit auf Höhe der Ausgleichszulage (1256 Euro).
Über Nacht illegale
"Es gab Menschen, die mit Österreichern verheiratet waren und die über Nacht illegal waren", sagt Angela Magenheimer, die in jenem Jahr 2006 den Verein "Ehe ohne Grenzen" gegründet hat, ja, regelrecht gründen musste. In den ersten Monaten habe es eine Schubhaftwelle gegeben, erzählt sie, denn eine Übergangszeit gab es nicht. Betroffen waren vor allem jene, die zwar schon mit Österreichern verheiratet waren, die aber noch ein offenes Asylverfahren hatten. "Sie haben auf Anraten der Fremdenpolizei dieses Verfahren zurückgelegt, um ins Niederlassungsverfahren umzusteigen. Die Einkommenshürden haben sie dann nicht geschafft."
Leicht war es aber auch vor dem 1. Jänner 2006 nicht, eine Ehe mit einem Drittstaatsangehörigen einzugehen. Die vielen benötigten Dokumente, die auch beglaubigt sein müssen, waren immer schon ein Knackpunkt. Auch Elisabeth Zert und ihr Partner sind daran gescheitert.
In Salomonowitz Film steht Zert auf dem Flughafen Wien, mittendrin im Strudel der Reisenden. Sie erzählt: "Wir haben die Papiere nicht zusammenbekommen, und deshalb haben wir beschlossen, dass er zurückfliegt, dass wir versuchen, dort zu heiraten. Dann habe ich ihn zum Flughafen gebracht, es war der härteste Weg meines Lebens."
Wer liebt, muss heiraten
Es ist eine von vielen Absurditäten des Fremdenrechts, dass es einerseits Ehen, die nur zum Zweck des Aufenthaltsrechts eingegangen werden, verhindern soll, andererseits binationalen Paaren gar keine andere Wahl lässt, als zu heiraten. Auch Liebende wollen sich nicht immer gleich ewig binden, doch das ist Voraussetzung für ein Aufenthaltsrecht.
Seit dem Jahr 2006 muss ein Nicht-EU-Ausländer seinen Antrag auf Niederlassung zudem aus dem Ausland stellen. Das betrifft auch jene, die bereits in Österreich leben, und auch Asylwerber. "Wenn eine Ausreise unzumutbar ist", erklärt der auf Fremdenrecht spezialisierte Anwalt Roland Hermann, "gibt es Ausnahmen". Ein Hindernis ist es allemal.
Ist der Partner aber einmal im Ausland, wie im Fall von Elisabeth Zert, wird es besonders zäh und mühsam. Die Trägheit der Verwaltung kann grenzenlos sein. In einer Szene im Film ist ein Mädchen zu sehen, das über ihre Mathematikübungen gebeugt laut rechnet. Die Mutter sitzt daneben und rechnet ebenfalls, errechnet, wie lange sie ihren Mann schon nicht gesehen hat. Sie kommt auf 727 Tage, jene "727 Tage ohne Karamo", die dem Film seinen Titel verliehen haben.
Rückgang binationaler Ehen
Hermann nennt das Fremdengesetz "ein Verhinderungsrecht". Es ist unfassbar kompliziert, da es neben dem Fremdenpolizeigesetz das Niederlassungsgesetz, das Staatsbürgerschaftsgesetz, das Asylgesetz und das Ausländerbeschäftigungsgesetz umfasst, die sich alle wechselseitig bedingen. Nicht zuletzt deshalb gibt es auch Vereine wie "Ehe ohne Grenzen" oder "Die Fibel", die binationale Paare beraten. "Es wird immer schwieriger", sagt Petruska Krcmar vom Verein "Fibel".
Die Mühsal schlägt sich auch in der Statistik nieder. Seit 2005 ist der Anteil binationaler Ehen von 25,7 Prozent auf 17,7 Prozent im Vorjahr zurückgegangen. Eingerechnet sind da allerdings auch EU-Bürger, die zahlenmäßig klar überwiegen, Eheleute aus anderen Kontinenten sind selten.
Mit der Heirat allein ist aber ohnehin noch nichts geschafft, auch wenn das ein weitverbreiteter Glaube ist. "Da beginnt es erst", sagt Angela Magenheimer. Die Heirat ist lediglich die Basis dafür, dass der ausländische Partner einen Aufenthaltstitel beantragen kann. Um diesen zu erhalten, muss der Österreicher oder die Österreicherin das erforderliche Mindesteinkommen vorweisen. Aus dieser Klausel spricht die Furcht des Gesetzgebers vor Armutsmigration, doch sie führt zu einer faktischen Ungleichbehandlung von Geringverdienern.
Geringverdiener chancenlos
Zu den 1256 Euro Mindestverdienst müssen pro Kind noch 130 Euro sowie die Miete (minus 267 Euro Freibetrag) addiert werden. Da die Familienbeihilfe nicht in die Kalkulation einfließen darf, kann das benötigte Einkommen schon einmal jenseits von 1800 Euro und damit über dem Durchschnittseinkommen liegen. Und dass Frauen deutlich weniger verdienen als Männer, lässt sich dann auch in der Ehestatistik ablesen. Es ist doppelt so häufig, dass die Ehefrau aus dem Drittland kommt wie umgekehrt. Nicht per Gesetz, doch qua Realität ergibt sich hier eine Geschlechter-Ungleichbehandlung.
"Ja, wir haben diese Problematik", sagt Angela Lueger, Integrationssprecherin der SPÖ. "Es wäre schön, wenn die Behörde Ermessensspielraum hätte." Wenn etwa das Gehalt nicht ganz ausreicht, sonst aber alle Anforderungen erfüllt werden. "Wenn es Ungleichheiten gibt, muss man es überdenken. Wichtig wäre eine Evaluierung", sagt Lueger.
Eine zweite Voraussetzung für einen Aufenthalt ist ein bestandener Deutschtest (A1-Niveau) des ausländischen Partners. Seit 2011 ist diese "Deutsch vor Zuzug"-Regel in Kraft, die für einige Zuwanderer ein enormes Hindernis darstellt. "In manchen Ländern gibt es gar keine Möglichkeit, Deutsch zu lernen", sagt Krcmar. Sprachinstitute gibt es nicht überall.
Der Gesetzgeber erhofft sich durch diese Regelung eine bessere Integration der Zuwanderer. Die Sprache sei der Schlüssel für Integration, heißt es, und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sieht es als "Startvorteil für Frauen aus patriarchalen Strukturen". Doch wenn es keine Möglichkeit gibt, Deutsch zu lernen? Ausnahmen sieht das Gesetz nicht vor.
In Österreich einmal angekommen und verfestigt, muss weiter gelernt werden. Der Film zeigt, wie dieses Müssen die Zuwanderer vor Herausforderungen stellt: Ein US-Amerikaner muss täglich in den Deutschkurs, danach beginnt seine Neun-Stunden-Schicht als Koch in einem Wiener Restaurant. Zeit für Eheleben bleibt da wenig, doch die Integrationsvereinbarung muss eben stur nach Plan erfüllt werden, auch wenn sich mittlerweile in Österreich recht problemlos mit Englisch durchkommen lässt. Für Briten gilt diese Regelung freilich nicht, sie sind EU-Ausländer.
"Inländer-Diskriminierung"
Die größte Skurrilität bietet das Fremdengesetz, da Inländer gegenüber EU-Ausländern schlechtergestellt sind. Deutsche, Polen oder Belgier, die in Österreich leben, können für ihre Ehepartner aus Drittländern einen Aufenthaltstitel beantragen - ohne Voraussetzungen, denn hier greift EU-Recht. Und es geht noch ein wenig absurder: Für Österreicher, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen und einige Monate im EU-Ausland gelebt haben, gilt diese Regelung auch.
Eine österreichische Studentin, die etwa in Spanien ein Auslandssemester absolviert und dort einen Kolumbianer lieben lernt, kann heiraten und mit ihm ohne Auflagen in Österreich zusammenleben. Ihr Bruder, der daheim den Wehrdienst absolviert und eine Serbin heiraten will, wird für sie keine Aufenthaltserlaubnis erwirken können. Für ihn gelten die Voraussetzungen, als Grundwehrdiener kann er sie nicht erfüllen.
Diese Form von Inländerdiskriminierung überrascht auch die FPÖ. "Das gibt der Diskussion eine neue Facette", sagt Generalsekretär Harald Vilimsky. Auch beim Thema Einkommensgrenze gibt sich Vilimsky verhandlungsbereit. "Wenn man einen Weg findet, gegen Scheinehen vorzugehen, kann man das diskutieren."
Für Anwalt Hermann ist das vielfach geänderte Gesetz "nicht mehr administrierbar", wie er sagt. "Es gibt ja kaum noch jemanden, der sich auskennt." Auch Alev Korun, Integrationssprecherin der Grünen, sagt: "Oft durchblicken es nicht einmal die Beamten, die es vollziehen müssen. Das erzeugt viel Bürokratie, kostet viel Steuergeld, und zig österreichische Kinder müssen darunter leiden, weil sie nicht mit dem Vater oder der Mutter zusammenleben können."
Es ist eine der stärksten Szenen von "Die 727 Tage ohne Karamo", als ein Vater in einer langen, ununterbrochenen Sequenz sein kleines Kind hält, mit ihm singt und es schaukelt. Die nächste Einstellung zeigt ihn betend in einer Kirche. Er betet, dass er in Österreich, bei seinem Kind bleiben kann. Er klingt zuversichtlich.
Kaum Scheinehen-Urteile
Wenn der erste Aufenthaltstitel genehmigt ist, bedeutet das für die neue Familie schon eine fundamentale Erleichterung, denn ab da kann auch der ausländische Partner zum Familieneinkommen beitragen. Doch der Bescheid gilt vorerst nur für ein Jahr und muss danach um ein weiteres verlängert werden. Innerhalb dieser zwei Jahre muss ein weiterer Deutschtest (A2) bestanden werden. "Das Problem ist das Schriftliche, das ist eine große Hürde", sagt Beraterin Magenheimer.
Rechtsanwalt Hermann, der auf dem Gebiet des Fremdenrechts mittlerweile viel Erfahrung gesammelt hat, sagt: "Wenn jemand schon einmal da ist, kann man das auch aussitzen." Irgendwann greift der Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Recht auf Familienleben definiert. "Das Recht wird stärker, wenn ein Staat jemandem schon einmal erlaubt hat, zu bleiben", sagt Hermann.
Eine Rechtssicherheit gibt es für die Paare aber nicht, und das kann quälend sein. Zumal durch das Gesetz bei derartigen Ehen, wie Hermann sagt, "ein Generalmissbrauchsverdacht" ausgesprochen wird, der Verdacht auf eine Scheinehe. Standesbeamte sind bei Eheschließungen mit Drittstaatsangehörigen verpflichtet, die Fremdenpolizei zu informieren. Und seit der Novelle vor sieben Jahren ist das Eingehen einer sogenannten "Aufenthaltsehe" auch strafrechtlich relevant. Laut Innenministerium ist die Anzahl der Aufenthaltsverbote wegen solcher Ehen seit 2006 von damals 528 auf zuletzt 9 gesunken.
Dafür gibt es zwar mehrere Gründe, allerdings gibt es vor Gericht kaum Schuldsprüche. Die Wissenschafterin Irene Messinger hat in ihrer Dissertation Geschichte und Gegenwart der Scheinehe erforscht, sie sagt: "Die Gerichte entscheiden im Zweifel für den Angeklagten. Und wenn dieser nicht selbst gesteht, gibt es wenig Nachweismöglichkeiten." Die schwere Beweisführung wird vom Innenministerium auch bestätigt, die Anzahl der Anzeigen liegen mittlerweile aber auch nur mehr zwischen 150 und 200 pro Jahr. Das wirft freilich die Frage nach der Relation des Nutzens zum Aufwand einerseits, andererseits zu den Erschwernissen für binationale Paare auf. "Es steht in keinem Verhältnis zur Hysterie", sagt Alev Korun.
Das lange Warten
Die Innenministerin lässt zwar per Statement ausrichten, "dass durch die Fremdengesetze weder das Schließen noch das Führen von binationalen Ehen erschwert oder gar verhindert werden", dem gegenüber stehen jedoch circa 6000 Beratungsfälle bei "Ehe ohne Grenzen" seit 2006.
"Manche Verfahren", erzählt Roland Hermann, "dauern so lange, dass die Beziehung zerbricht." Und manchmal wird diese Dauer auch zu einer Ewigkeit. Karamo, der unsichtbare Titelheld des Filmes, ist immer noch nicht in Österreich. Seit 1380 Tagen, 1380 Tage ohne Karamo.