In der verklärenden Vorstellungswelt der Romantik führten sie ein ungebundenes Leben und zogen auf Pferdewägen durch die Lande. Sie ernährten sich von dem, was ihnen die Natur bot und waren von jeder Steuerpflicht entbunden. Ein allseits bekanntes Volkslied zeugt von diesem Klischee. Der mobile Lebensstil wird zwar heute noch von einigen Angehörigen der Roma-Minorität gepflogen, in Ungarn gehört aber auch das schon lange der Vergangenheit an. Die Gegenwart stellt sich für viele Roma vielmehr so dar: Arbeitslosigkeit, Verwahrlosung, ein Leben am Rande der Gesellschaft.
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Dass es um die Lebensbedingungen dieser Minorität, deren Anteil an der ungarischen Bevölkerung mit fünf Prozent beziffert wird, nicht zum Besten steht, will auch Bela Szombati, Ungarns stellvertretender Staatsekretär für die EU-Integration nicht abstreiten. "Es ist ganz offensichtlich, dass der durchschnittliche Lebensstandard der Roma weit unter dem der übrigen Bevölkerung liegt."
Angelegenheit Ungarns
Das zunehmende internationale Interesse an der Lage der magyarischen "zigan" wundert Szombati nicht. Die Integration dieser Minderheit sei zwar in erster Linie eine innerungarische Angelegenheit, so Szombati, aber natürlich könne der Europäischen Union ein sozialer Konflikt auf dem Gebiet eines Beitrittswerberlandes nicht egal sein.
Was die soziale Diskriminierung von Minderheiten angeht, warnt Szombati allerdings vor falscher westlicher Überheblichkeit. Seiner Ansicht nach ist die relative soziale Benachteiligung der Roma überall in Europa ungefähr die gleiche. Ihre Situation in Ungarn sei nur deswegen besonders auffällig, da hier der Lebensstandard allgemein tiefer liege.
In Zahlen ausgedrückt bedeutet das für die schätzungsweise 400 bis 600.000 ungarischen Roma folgendes: Sie sind etwa sechs mal häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als die übrige Bevölkerung (in manchen Regionen beträgt die Erwerbslosigkeit unter Roma 80 bis 90 Prozent, stellenweise sogar 100), ihre Lebenserwartung ist im Schnitt zehn Jahre geringer als die eines Durchschnittsungarn. Die überwältigende Mehrheit der Roma beendet ihre Schullaufbahn bereits im Alter von 14 Jahren, 45 Prozent der dunkelhäutigen Minorität haben bis zum 40. Lebensjahr den Pflichtschulabschluss nicht geschafft - man kann vermuten, dass die Quote der Analphabeten ungefähr die gleiche Dimension annimmt. Die Klientel mancher Sonderschulen für Lernschwache besteht zur Hälfte aus Roma-Kindern.
Viele Roma "ausgesteuert"
Ein Zustand, den Istvan Aba Horvath, hochrangiger Roma-Interessensvertreter, nur bestätigen kann. Seiner Ansicht nach ist so gut wie jeder Rom in Debrecen ohne Arbeit, viele sind obdachlos und unterernährt. Verschärfend wirkt sich aus, dass fünf bis zehn Prozent dieser Roma von der Arbeitsmarktverwaltung und dem ungarischen Wohlfahrtswesen gar nicht mehr erfasst sind. Sie leben in einem Graubereich, da sie schon vor der politischen Wende 1989 keiner gemeldeten Beschäftigung mehr nachgingen, was es nach der damaligen sozialistischen Ideologie gar nicht geben durfte.
Die Ursache für die verheerende Situation seiner Volksgruppe sieht Horvath darin begründet, dass "die Stimme der Roma einfach nicht gehört wird". Pointiert ausgedrückt: "Wo die Siedlungen der Roma beginnen, hören Gas- und Wasserleitungen auf." Die mangelnde Sympathie seitens der Mehrheitsbevölkerung trage das ihre zur vollständigen Marginalisierung der "zigan" bei. Von einer Überzeugung lässt sich Horvath allerdings durch niemandem abbringen: "Wenn die Roma eine Chance bekommen, sind sie auch Willens, diese zu nutzen."
Maßnahmen der Regierung
Ungarns Regierung hat während der letzten Jahre durchaus Schritte unternommen, um die Situation der ethnischen Minderheiten allgemein, und die der Roma im besonderen, zu verbessern. Grundlegend war die Verabschiedung eines Gesetzes im Jahr 1993, das den Schutz ethnischer Minderheiten garantiert. In der Folge wurde ethnischen Minderheiten das Recht zugestanden, auf lokaler Ebene eine demokratisch gewählte Selbstverwaltung zu errichten. Diese Institution soll innerhalb der Gemeindeverwaltung die Anliegen der ortsansässigen Minderheit vertreten und in Konfliktfällen vermitteln.
Parallell dazu existiert seit 1995 ein eigener Ombudsmann, der in Angelegenheiten des Minderheitenschutzes aktiv ist. Daneben sind in den letzten Jahren einige öffentlich finanzierte Programme im Bereich Bildung und Arbeitsmarkt ins Rollen gekommen, die soziale Integration der Roma zum Ziel haben. Diese Bemühungen stecken allerdings noch in den Kinderschuhen.
Istvan Horvath jedenfalls ist überzeugt, dass das politische Gewicht der Roma allein nicht ausreichen wird, um der tristen Lage eine Wendung zu geben und hofft auf externe Hilfe: "Unsere Situation wird sich entweder mit dem EU-Beitritt Ungarns verbessern, oder sie wird auf ewig so bleiben, wie sie ist."