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Die eben erfolgte Neustaatsbildung des Kosovo wirft grundlegende Fragen hinsichtlich der künftigen EU-Erweiterung auf. Wie viele Staaten könnten noch dazu kommen? | Mit den Unabhängigkeitserklärungen von Montenegro im Juni 2006 und des Kosovo im Februar 2008 entstanden allein am Westbalkan innerhalb von eindreiviertel Jahren zwei Neustaaten.
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Bedenkt man, dass in Europa weitere 34 Unabhängigkeitsbewegungen existieren, die als europäische Regionalparteien Mitglied der "Europäischen Freien Allianz" sind, die als eigene Partei bei den Wahlen zum Europäischen Parlament antritt, ist zu vermuten, dass der Kosovo nicht die letzte Staatsentstehung in Europa gewesen sein könnte. Politologen halten allerdings nur drei Bewegungen für stark genug, um eine sezessionistische Neustaatsbildung durchzusetzen - jene im Baskenland, in Schottland und in Flandern.
Politisches Europa
Damit stellt sich die Frage, auf wie viele potenzielle Beitrittswerber sich die EU überhaupt einzustellen hat. Gemäß Artikel 49 Absatz 1 EU-Vertrag kann nämlich jeder europäische Staat, der die tragenden Grundwerte der EU achtet, beantragen, Mitglied der EU zu werden.
Geht man bei der Interpretation des unbestimmten Vertragsbegriffs "europäischer Staat" - richtigerweise - von einem politischen und nicht geografisch konfinierten Europa aus, dann kommen zunächst die 47 Mitgliedstaaten des Europarates in Frage, vor allem auch deswegen, da dessen Satzung ebenfalls das Kriterium eines "europäischen Staates" fordert. Damit sind alle 47 Europaratsstaaten sowie der Kosovo und Belarus potenzielle Beitrittswerber zur EU, was zu folgendem Rechenexempel Anlass gibt.
Von diesen 49 Staaten sind bereits 27 Mitglieder der EU, sodass nur noch 22 Staaten übrig bleiben. Davon sind die bereits anerkannten sechs Beitrittskandidaten, nämlich die Türkei, Albanien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Kroatien und das einstige Serbien-Montenegro samt Kosovo abzuziehen, sodass 16 beziehungsweise 14 Staaten verbleiben, da nunmehr auch Montenegro und Kosovo wegzuzählen sind.
Von diesen 14 Staaten sind im Grunde auch die drei Efta-Staaten im Europäischen Wirtschaftsraum (Liechtenstein, Norwegen und Island) sowie die Schweiz abzuziehen, da diesen zweifellos eine Beitrittsoption offen steht.
Von den verbleibenden zehn Staaten fallen wiederum drei Staaten (Belarus, Moldawien, Ukraine) weg, da diese an der neuen "Europäischen Nachbarschaftspolitik" vom Juli 2003 teilnehmen, die ausdrücklich einen späteren Beitritt zur EU ausschließt. Zieht man dann auch noch Russland ab, das kein Beitrittswerber sein will, bleiben sechs Europarats-Staaten (Andorra, Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Monaco, San Marino) über, hinsichtlich derer die Beitrittsoption noch nicht näher spezifiziert ist.
Ein Recht auf Beitritt?
Umgekehrt zeigt das Rechenbeispiel, dass zu den bisherigen 27 Mitgliedstaaten der EU denkmöglich noch weitere 18 hinzukommen könnten, was die EU auf unglaubliche 45 Mitgliedstaaten ausweiten würde. Dass es zu einer solchen "Überdehnung" der EU aber nicht kommen wird, liegt vor allem daran, dass der vorerwähnte Artikel 49 EU-Vertrag nur ein Recht auf das Stellen eines Beitrittsantrages zur EU, nicht aber zugleich auch ein Recht auf einen Beitritt an sich enthält - sonst wäre ja ein Staat, in dessen Parlament der jeweilige Beitrittsvertrag scheitern würde, schadenersatzpflichtig.
Abgesehen davon gibt es auch kein Recht auf "Nichtdiskriminierung" in den Beitrittsverhandlungen. Die EU kann hierbei durchaus mit zweierlei Maß vorgehen und ist an keine Gleichbehandlungspflicht gebunden ist. Die Aufnahme eines Staates in eine internationale Organisation liegt eben im freien politischen Ermessen der aufnehmenden Organe beziehungsweise der Mitgliedstaaten.