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Wo geht es denn zur Dreizinnen-Hütte?

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare

Der zunehmend hitzige Zank um 36.000 nicht zweisprachige Wegweiser in Südtirol ist so verzichtbar wie ein Kropf. Rom reißt aus nichtigem Anlass längst vernarbte Wunden auf, und Tirols Landeshauptmann Günther Platter kontert mit einem Satz, der das Thema in politisch - leider - wirkungsloser Lächerlichkeit preisgibt: "Noch kein Wanderer hat sich verirrt, weil es nur einen deutschsprachigen Wegweiser gab."


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Gar nicht lächerlich ist hingegen, dass Rom in einem überflüssigen Anfall von "Italianità" auf das

Ideengut von Ettore Tolomei zurückgreift. Dieser Faschist und Geschichtsfälscher ersetze 1923 im Auftrag Benito Mussolinis deutsche Orts- und Flurnamen in Südtirol durch "italianisierte". Das zeitigte Originelles wie Brennero, Merano, Lazfons (Latzfons) oder Cisles (Tschisles) und Absurdes wie Ultimo (Ulten). Den Ultimo in Sprachwissenschaft zog Don Ettore bei der Umtaufe des Hochfeiler zu Gran Pilastro, weil der "Feiler" weder alpinistisch noch semantisch ein "Pfeiler" ist. Auch Monte Gruppo ("Gruppe") für Grubbach-Spitze haut blamabel daneben.

Roms verstohlene Anleihe bei Tolomei kann man wie Platter auch als Provokation verstehen. Denn wo bleiben die Ansprüche der konstant missachteten ladinischen Minderheit? Warum verlangt Rom nicht konsequent auch dreisprachige Wegweiser zur "Marmolada, Marmolata, Marmoleda"?

Da drängt sich die Frage nach der Zumutbarkeit auf. Jeder deutschsprachige Bergfreund versteht unter Rifugio Payer auf dem Anstieg zum Ortler die Payer-Hütte und hält ein Stück höher droben das Bivacco Lombardi nicht für eine Jausenstation. Also dürften italienische Alpinisti auch die Rosengarten- oder die Dreizinnen-Hütte als Rifugi erkennen, die freilich seit der "Italianisierung" des Südtiroler Alpenvereins 1927 durch den Club Alpino Italiano die Namen der Italiener Aleardo Fronzal und Locatelli tragen.

Aber bitte: Was tun denn Touristiker nicht alles für das Wohlbefinden der Gäste. In Südtirol könnten vielleicht Italiener urlauben, die kein Wort Deutsch verstehen - und umgekehrt. Zweisprachige Wegweiser sind doch ein Service für die Kunden, oder? Italianisierung kann sogar den Horizont der Bildung erweitern, weshalb manche italienische Straßen die Namen Giovanni Sebastiano Bach oder Giovanni Wolfgango Goethe tragen.

Und wie regeln die Schweizer dieses Problem mit ihren amtlichen Sprachen Deutsch, Französisch, Italienisch und Ramuntsch? Nirgendwo gibt es viersprachige Wegweiser. Selbst wir Österreicher haben uns aus Respekt vor unseren Nachbarn schon Bratislava, Zagreb und Ljubliana angewöhnt. Hingegen kämen Weltstädte wie Moskau, Prag, Jerusalem oder Wien nicht auf die Idee, ihren Ortstafeln fremdsprachige Übersetzungen anzufügen.

Roms mit Kurvenargumenten gestützte Lust an der Italianisierung von Südtiroler Wegweisern ist in einem zusammenwachsenden Europa - milde formuliert - lächerlich und nötigt zur Frage: Hat Italien nicht echte Probleme zu lösen?

Clemens M. Hutter war bis 1995 Ressortchef Ausland bei den "Salzburger Nachrichten".