Dachverband der medizinisch-technischen Dienste ortet gravierende Mängel. | Derzeitiges System Gefahr für adäquate Patientenversorgung. | Wien. Sie sind "Berater", "Coaches", "Trainer", "Manager" oder wie auch immer sie sich nennen im Geschäft mit der Gesundheit: Gut 150 selbsternannte "Gesundheitsberufe" bieten derzeit in Österreich ihre Dienste an. Oftmals ohne gesetzliche Legitimation und ohne adäquate Ausbildung. Gleichzeitig besteht in etlichen Bereichen ein akuter Mangel an diagnostischen und therapeutischen Fachkräften, worauf nun der Dachverband der gehobenen medizinisch-technischen Dienste (MDT-Austria) hinweist.
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Beim derzeitigen Wildwuchs an Berufsbezeichnungen und den dazugehörigen Ausbildungen, wie zum Beispiel im Ernährungsbereich, wird es für Ratsuchende und Patienten immer unüberschaubarer, wer wofür wirklich qualifiziert ist. "Sie werden durch unqualifizierte und zum Teil auch gesetzeswidrige Angebote getäuscht oder falsch behandelt", sagt Gabriele Jaksch, Präsidentin des Dachverbandes.
Oft dauert die "Ausbildung" in diesen selbst ernannten Berufsgruppen lediglich ein Wochenende, wie etwa der Verband der Diätologen Österreichs festgestellt hat: "Ernährungsberatung erscheint auf den ersten Blick banal: Mehr Obst, Gemüse und Vollkornprodukte essen", sagt Verbands-Vorsitzende Andrea Hofbauer. Doch abgesehen davon, dass solche Ratschläge völlig falsch sein können (Nahrungsmittelunterverträglichkeit), oft seien Leute mit Gewichtsproblemen krank. Dann kann die "Behandlung durch diese Personen gefährliche Formen annehmen", so die Diätologin. Denn zur optimalen Betreuung zählt auch das gesicherte Wissen um medizinische Hintergründe.
Fantasiebezeichnungen
Problematisch ist dies aber auch für jene Personen, die teures Geld in "erfundene Ausbildungen" stecken und dort Tätigkeiten lernen, die sie nach österreichischer Rechtslage gar nicht erbringen dürften. "Fantasiebezeichnungen für diese Leute, die oftmals verwechslungsfähig lauten, runden die Verwirrung ab", erklärt Wilhelm Frank, Autor des soeben vorgelegten MDT-Berichtes "Patiententäuschung und Unterversorgung im österreichischen Gesundheitswesen".
Die Problematik wird durch mehrere Umstände begünstigt: So verfügen die Berufsverbände über keine gesetzliche Regelung für ihre Registrierung. Daher können sie sich nicht ausreichend gegen in erster Linie kommerziell orientierte Angebote abgrenzen. Deswegen wünscht sich MDT-Austria als öffentlichkeitswirksame Maßnahme eine entsprechende Liste, die sie selbst verwalten will. Weiters gibt es derzeit keine aussagekräftigen Bedarfsanalysen zur Ausbildung. So würden etwa viel mehr Logopädinnen benötigt, beklagt Ingrid Haberl, Logopädie Austria-Präsidentin. Folgen: "Eklatante Unterversorgung der Bevölkerung und übervolle Praxen."
Kritik wird aber auch an den derzeit herrschenden Rahmenbedingungen für die therapeutische Versorgung von Patienten geübt. "Im Bereich der medizinisch-therapeutischen Betreuung gibt es aufgrund extrem unterschiedlicher Leistungen der Krankenkassen de facto eine Zwei-Klassen-Medizin", sagt Jaksch, weiters würden Ausbildung, Wissenschaft und Forschung im MTD-Bereich behindert.
Zahlreiche Fragen
So stelle sich etwa die Frage, warum in der Schweiz für Physiotherapie pro Patient jährlich 50 Euro aufgewendet würden, in Österreich dagegen lediglich 17 Euro. Oder warum Blutproben von Österreichern in bulgarischen Großlabors analysiert würden - "dies unter Missachtung von einschlägigen Qualitätskriterien, so dass schwerwiegende Krankheiten, wie etwa Leukämie, dabei übersehen werden"?
Weiters, so die MTD-Präsidentin, sei die oftmals undurchsichtige Vertragssituation zwischen Bundes- und Gebietskrankenkassen ein echtes Zugangshindernis für Ergotherapie im extramuralen Bereich, so dass im Durchschnitt ein Selbstbehalt von zumindest 40 bis 45 Euro je Behandlungseinheit zu bezahlen ist. "Und warum erhalten so manche Patienten Ergotherapie auf Krankenschein, während eine Vielzahl für Selbstbehalte tief in die eigene Tasche greifen muss?"
Und nicht zuletzt erhebe sich die Frage, warum vier von sieben MTD-Berufen - wie etwa Radiologietechnologie, ohne die ein moderner Spitalsbetrieb unvorstellbar ist - freiberuflich erbrachte Leistungen nicht direkt mit den Krankenkassen abrechnen können.
Reform für Patienten
Jaksch: "Wenn in letzter Zeit von einer Gesundheitsreform die Rede ist, dann geht es in Wirklichkeit entweder um eine Finanzierungsreform - siehe GKK - oder um eine Sozialrechtsreform - siehe Pflegekräfte und 24 Stunden Betreuung, aber nicht um die Gesundheit der Österreicher."
Deshalb fordere MTD-Austria eine Diskussion zur Gesundheitsreform, bei der es um die Versorgungs- und Betreuungsqualität der Betroffenen geht und damit, so dessen Präsidentin, um "gleiche Chancen für alle auf eine adäquate, dem Stand der Wissenschaft entsprechende Behandlung".