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Wo ist die Staatskrise?

Von Simon Rosner

Leitartikel
Simon Rosner
© Thomas Seifert

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Wie viel bleibt von der drohenden Staatskrise, wenn sich der Nebel der Dramatik lichtet? Es ist, zugegeben, aufgrund der Besonderheit des Ereignisses und der nicht alltäglichen Ansprachen des Bundespräsidenten nicht gerade leicht, sich den Blick nicht vernebeln zu lassen. Doch notwendig ist es hier genauso wie auch sonst bei politischen Bewertungen. Die Bundesregierung a.D. hat ja fast grundsätzlich in Superlativen kommuniziert, vom "besten Innenminister" bis zur "größten Steuerentlastung aller Zeiten". Beide Beschreibungen konnten den Wahrheitsbeweis nicht antreten. Es wurden auch nicht mehr Gesetze beschlossen als früher, große Ankündigungen erlebten kleinere Umsetzungen. Und die Eingriffe bei Kassen, Mindestsicherung und Familienbeihilfe werden noch verfassungsrechtlich zu prüfen sein. Für die Gegennarrative gilt nichts anderes: Unter Türkis-Blau erlebte das Land nicht den größten Sozialabbau seiner Geschichte.

So sehr die jüngsten Ereignisse und ihre Plötzlichkeit Dramatik vermitteln, lässt sich die Situation auch nüchterner betrachten: Die Regierung hat einige Mitglieder, vor allem aber ihre Mehrheit im Nationalrat verloren. Das allein ist sicher noch keine Staatskrise. Österreich erhält nun, was es schon einmal hatte, nämlich eine Minderheitsregierung. Die Umstände 1970 waren zwar andere, aber so unterschiedlich ist die Aufgabe für den Regierungschef nicht, ja sogar einfacher. Diesmal muss, außer das Allernötigste, nichts mehr getan werden, auch kein Budget. Es sollte also kein Problem geben. Aber es gibt eines in Form eines Misstrauensantrags. Ihm zuzustimmen, wäre für FPÖ und SPÖ die wohl ehrlichste Reaktion, denn das Vertrauen in Kanzler Sebastian Kurz bei diesen Parteien ist gering bis futsch. Dass Kurz nicht mit großen Gesten auf die SPÖ zugeht, ja nicht einmal in einen Dialog eintrete, wie diese moniert, und zudem die neuen Kabinette selbst beschickt, macht’s nicht besser. Aber warum auch? Er will jetzt nicht mit der SPÖ, und er wird auch im Herbst nicht wollen. Warum sollte er also jetzt so tun als ob?

Doch wäre sein Sturz vernünftig? Unabhängig von wahlstrategischen Überlegungen setzt nämlich hier das Staatskrisen-Gerede an. Nach innen wäre das Problem gering, auch ein Beamter könnte die Geschäfte bis zur Wahl erledigen. Die europapolitische Perspektive ist eine andere: Der neue Kommissionspräsident wird zwar erst Ende Oktober gewählt, doch ab nächster Woche wird in Brüssel um Posten und Positionen gepokert. Dass dabei ein Kanzler Kurz eine andere Rolle spielen würde als ein vom Bundespräsidenten betrauter Beamter, ist klar. Genau darauf verweisen die Neos, die nicht mitstimmen werden. Was freilich vergessen wird: Der EU selbst ist es egal, sie funktioniert nicht schlechter, wenn sich ein Land diesmal weniger einmischt. Vielleicht ja sogar besser.