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Griechenland steht vor einer Staatspleite, Großbritannien vor einem Referendum, das den EU-Austritt zur Folge haben kann. Auf beides ist die EU nicht vorbereitet, es kommt in den Vertragstexten nicht vor. Der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, warnte vorige Woche bei einer Preisverleihung vor dem Zustand Europas. Immerhin eine Warnung, aber wo ist der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker?
Er wurde gewählt, als erster Kommissionspräsident überhaupt. Daraus resultiert eine politische Legitimation, der Juncker bisher nicht nachkommt. Er trat nicht an als Chefjurist der Abteilung EU-Verträge, sondern er war Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei. Seine Aufgabe ist es, Europa in die Hirne und Herzen der 500 Millionen Bürger zu pflanzen.
Wenn es im Rahmen dieser Vereinbarungen nicht geht, muss er politische Aktionen setzen. Das Briten-Referendum hat EU-weite Auswirkungen, auch in den anderen 27 EU-Ländern müsste eine Abstimmung über die Briten stattfinden.
Die regierenden Syriza-Politiker versprechen griechischen Bürgern Unmögliches? Dann muss er es artikulieren. Für Alexis Tsipras gilt, was für David Cameron gilt: Sie sind Regierungschefs, aber eben Regierungschefs mit eingeschränkter Souveränität. Cameron erklärte die Flüchtlingstragödie im Mittelmeer zum italienischen Problem, eine vertrottelte Aussage. Und Juncker? Der schweigt. Und hat nicht einmal die Eifersüchteleien unter den EU-Kommissaren im Griff.
Griechenland und Großbritannien beschleunigen die Fliehkräfte in der EU. Die wird es so lange geben, wie der Europäische Rat (das Gremium der 28 EU-Regierungschefs) die aktuelle Bedeutung hat.
Juncker muss die Rolle des Rates eindämmen, das ist seine politische Aufgabe. Das ist schwierig, vielleicht sogar unmöglich. Doch er muss es versuchen. Sein Schweigen und seine öffentliche Absenz sind eine Frechheit und führen die EU-Wahl ad absurdum. Wenn sich immer mehr Menschen von der Idee Europa abwenden, darf er sich nun zu den dafür Verantwortlichen zählen. Und gibt nachträglich ausgerechnet Cameron recht, der ihn als Kommissionspräsident zu verhindern suchte.
Juncker selbst hat nach der Europawahl 2014 erklärt, dass diese EU-Kommission eine "letzte Chance" darstelle. Derzeit liegt die Betonung auf "letzte" und nicht auf "Chance".