Das Verschwinden eines iranischen Kernforschers auf Pilgerreise nach Mekka im Juni gibt Rätsel auf. Ist er verschleppt worden, ist er übergelaufen - und hat er über das iranische Atomprogramm geplaudert? Außenminister Manoushehr Mottaki brachte diesen und ähnliche Fälle kürzlich formell bei UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zur Sprache und beschuldigte die USA, die Hand im Spiel zu haben.
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Im offiziellen Sprachgebrauch wurde der verschollene nicht einmal als Nuklearwissenschaftler, sondern lediglich als iranischer Staatsbürger bezeichnet. Nach Angaben seiner Frau forschte er an einer Universität über medizinische Anwendungen der Nukleartechnologie und hatte mit dem international umstrittenen Atomprogramm nichts zu tun.
Amiri verschwand wenige Monate, bevor die Existenz einer zweiten Uran-Anreicherungsanlage im Iran bekannt wurde. Angesichts dessen fragen sich Fachleute, ob er dem Westen Informationen darüber oder andere Aspekte des Atomprogramms geliefert hat. Die Entdeckung der Anreicherungsanlage bei Qom (Ghom) gilt als Coup westlicher Geheimdienste. Der Iran bestreitet, dass er sie geheim halten wollte; nach seiner Darstellung war er noch nicht zur Anmeldung bei der Atomenergiebehörde verpflichtet. US-Beamte führten die Entdeckung auf Erkenntnisse aus verschiedenen nachrichtendienstlichen Quellen, vor allem auf Spionagesatelliten zurück. Ob zu diesen Quellen auch iranische Informanten gehörten, führten sie nicht näher aus.
Über Amiri ist nicht viel bekannt. Was aus ihm geworden ist, bleibt vier Monate danach ein Rätsel. Der Iran habe Saudi-Arabien um Auskunft über seinen Verbleib gebeten, aber keine Antwort erhalten, erklärte Außenministeriumssprecher Hassan Kashkawi. Amiris Angehörige demonstrierten mehrmals vor der saudischen Botschaft in Teheran.
Im amtlichen englischsprachigen Nachrichtensender Press TV hieß es, Amiri habe als Forscher an der Teheraner Malek-Ashtar-Universität gewirkt. Die Universität gilt bei den UN als Atomforschungsstätte; sie soll unter Kontrolle der Revolutionsgarden stehen. Auf der den iranischen Konservativen nahestehenden Webseite Jahannews hieß es ohne Quellenangabe, Amiri habe in der Anlage bei Qom gearbeitet und habe sich in Saudi-Arabien abgesetzt.
Amiri war am 31. Mai zur Omra, der islamischen Pilgerfahrt gen Mekka, nach Saudi-Arabien gereist, wie seine Frau laut Nachrichtenagentur ISNA sagte. Zuletzt habe sie am 3. Juni von ihm gehört, als er sie aus Medina angerufen habe. Dabei habe er berichtet, dass er bei der Ankunft in Saudi-Arabien auf dem Flughafen von der Polizei eingehend befragt worden sei, "mehr als alle anderen Passagiere".
Mottaki erklärte am Mittwoch, Amiri sei auf Betreiben der USA festgenommen worden. Der Iran halte Saudi-Arabien verantwortlich für sein Befinden. Berichte, dass Amiri Mitarbeiter der iranischen Atomenergieorganisation gewesen sei, bezeichnete er laut ISNA als "Spekulationen westlicher Medien".
Aus Saudi-Arabien gab es keine Stellungnahme. Das US-Außenministerium weiß nach Angaben eines Sprechers nichts von dem Fall. Die saudischen Geschäftsleuten gehörende arabische Zeitung "Ashark al Ausat" berichtete vorige Woche, Mottaki habe sich bei Ban förmlich wegen des Verschwindens von Amiri und anderen Iranern in den letzten Jahren beschwert, bei einigen von denen zu befürchten sei, dass sie nukleartechnische Informationen an den Westen gegeben hätten. Eine UN-Sprecherin bestätigte ohne weitere Einzelheiten, dass das Thema bei einem vertraulichen Gespräch behandelt wurde.
Auf der von Mottaki übergebenen Liste stand auch Ali Resa Asghari, ein ehemaliger General der Revolutionsgarden und stellvertretender Verteidigungsminister, der im Dezember 2007 bei einem Privatbesuch in der Türkei verschwand. Nur mit Nachnamen genannt wurde ein Mann namens Ardebili, der kürzlich in Georgien festgenommen worden sein soll. Außenministeriumssprecher Kashkawi bezeichnete ihn als Geschäftsmann und warf den georgischen Behörden vor, ihn festgehalten und an die USA übergeben zu haben. "Ashark al Ausat" identifizierte ihn ohne Quellenangabe als mutmaßlichen Waffenhändler. Ein Regierungssprecher in Tiflis wollte keinen Kommentar abgeben.