Slim-fit-Politiker sind Kinder einer Tradition des nicht-sachlichen Diskutierens und Bevormundens.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Die charakteristischen Konflikte waren Affären sowie Rang- und Gunststreitigkeiten. Sachliche Erörterung und Diskussionen blieben dabei weitgehend nicht entwickelt. Wer einer Sache auf den Grund gehen wollte, wurde als ‚Pedant‘ (...) beschimpft. Andere Fähigkeiten und Merkmale hatten dagegen einen hohen Stellenwert: (...) modische Kleidung, Haartracht, (...) Kontrolle der Mimik und Gestik, gute Manieren, (...) Der Vorrang der Äußerlichkeiten (...) zwang (...) zu einer genauen Selbstbeobachtung und Selbstbeherrschung." Beschrieben wird hier nicht die Regierung am Ballhausplatz im 21. Jahrhundert, sondern die Hofburg im 18. Jahrhundert (Helmut Reinalter: "Josef II - Reformer auf dem Kaiserthron", C.H. Beck 2011).
Aktionen im Sinne des Selbstmarketing haben eine lange Tradition in österreichischen Regierungen. Dabei herrschte in Wien auch der Reformkaiser Josef II., der sich die Mühe machte, quer durch Europa zu reisen, um zu lernen, was Fortschritt braucht. Trotzdem: "Alles für das Volk, nichts durch das Volk." Folgerichtig trifft man in Österreich bis heute selten auf den mündigen Citoyen und blieb die Intrige das Mittel zur Macht. Sachliche Kompetenz kann dabei außen vor bleiben, weil das herrschende Bildungssystem für die Masse eher einem "Verschönerungsverein" entspricht, statt einem Entwicklungsweg auf Basis aktueller pädagogischer Erkenntnisse.
Bei Intrige wie Mobbing sind Zuschauer, die nicht einschreiten, ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Viel zu wenig wird die Rolle der "Alten Herren" hinter dem Aufstieg eines Jungspunds und seiner Clique beleuchtet. Öffentlich werden Intrigen als ganz normaler Weg des Machterwerbs beschrieben und eher eine Haltungswertung für einzelne Proponenten der Skandale vergeben, bevor den grauen Eminenzen eine Verurteilung von eindeutig gesellschafts- und zukunftsschädigendem Verhalten über die Lippen kommt. Ob eine verpflichtende Schulung für Politiker in CSR, Integrität und Compliance helfen würde? In verantwortungsbewussten Unternehmen wäre das der erste Schritt. Der zweite wäre eine Schulung in Ressourcenmanagement. Aussagen wie: "Wenn es zusätzliche Ressourcen braucht, werden diese auch zur Verfügung gestellt werden", lassen angesichts des offensichtlichen Mangels an Personal und Fachwissen vor Ort in Spitälern, Verwaltung, Exekutive und Bildung am Management-Know-how in der Politik massiv zweifeln.
Naheliegend ist der Schluss des "einfachen Mannes von der Straße", dass Politiker einer Elite angehören, die die Konsequenzen ihres Handelns nicht selbst tragen muss: Sie leisten es sich daher zu oft, "von oben herab" zu befehlen, ohne die Verhältnisse vor Ort zu berücksichtigen und maßvoll zu planen. "Stand im Denken des Bürgertums die Kalkulation wirtschaftlicher Gewinne und Verluste im Zentrum des beruflichen Strebens, so entwickelte sich am Hofe eine eigene ‚unwirtschaftliche‘ Rationalität heraus", beschreibt Reinalter Österreich im 18. Jahrhundert. Revolutionen folgten. Noch könnten wir es mit einer Transformation versuchen. Management-Know-how dafür gibt es genug.