Österreich verschlafe Entwicklungen auf dem Wasserstoffmarkt, lautet die Kritik. Dabei könnte es ein wichtiger Hub sein.
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Im Zuge der Energiewende setzt die Industrie auf Wasserstoff. Österreich genoss hier in der Vergangenheit eine Vorreiterrolle - nun ist es aber still geworden um den einstigen Pionier. Es ist noch nicht zu spät für Österreich, an der "Party" teilzunehmen, aber die Zeit drängt, mahnt Jorgo Chatzimarkakis, Chef der Industrieorganisation Hydrogen Europe, im Interview.
"Wiener Zeitung": Bei Ihrem Besuch in Wien kürzlich haben Sie bedauert, dass Österreich in Bezug auf (grünen) Wasserstoff Vorreiter in Europa war - und es nun nicht mehr ist. Was ist aus Ihrer Sicht passiert?Jorgo Chatzimarkakis: Die Antwort ist ganz einfach: Es gab einen Ministerwechsel. Der Hintergrund ist der: Wir haben in Europa seit 2016 eine Wasserstoffstrategie aufgebaut und 2020 ging es in großen Schritten los. Viele Akteure haben eingesehen, dass uns die Transformation hin zu Erneuerbaren nicht ohne H2-Moleküle gelingt, und dass es jetzt die Möglichkeit gibt, diese H2-Moleküle grün zu erzeugen. Und das ist an der Ministerin (Leonore Gewessler, Grüne, Anm.) vorbeigegangen. Sie kam noch aus der alten Denke, dass nur Strom grün sein kann, und hat ihrem Ministerium entsprechend Instruktionen gegeben, Wasserstoff zur Seite zu legen.
Welche Rolle würde in der Wasserstoffstrategie der Verteilerknoten Baumgarten der Gas Connect Austria spielen?
Wir erleben gerade, wie in Europa die Ost-West-Einbahnstraße komplett durch Gasflüsse von Nord-Süd, Süd-Nord und teilweise West-Ost ersetzt wird. Da werden sozusagen die Verkehrsschilder komplett umgestellt. Alles, was aus dem Osten nach Westen über Baumgarten kam, könnte kompensiert werden aus dem Süden, und das wiederum über Baumgarten. Hinzu kommt: Die Ukraine wird irgendwann wieder aufgebaut werden - und sie hatte bereits große Erneuerbaren- und große Wasserstoffpläne. Es wird aufgrund des Einsatzes von Atomenergie sehr günstigen Wasserstoff aus dem Osten geben. Baumgarten kann sich als das neue europäische Schaltzentrum für Wasserstoff etablieren. Wenn man das politisch will und früh genug die Weichen stellt, kann man das auch erreichen. Das ist ein Akt, den Österreich seinen Partnern - Deutschland, Italien und der Ukraine - mitteilen muss. Und diese Signale kommen zurzeit nicht aus Österreich.
Durch den Krieg in der Ukraine ist (grüner) Wasserstoff in den Vordergrund gerückt, vor allem als Energieträger in der Industrie. Hat der Krieg dem Thema Auftrieb gegeben?
Das Thema wäre sowieso stark gewachsen. Aber die Schnelligkeit, mit der jetzt über Wasserstoff geredet wird, ist fast eine Kehrtwende auf dem Absatz. Es ist traurig, dass es aufgrund des Kriegs passiert, aber es ermöglicht uns, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Uns endlich aus der Abhängigkeit von einem Land herauszulösen und gleichzeitig aus den fossilen Energieträgern auszusteigen. Es braucht hier auch klare Ansagen aus der Industrie, dass man sagt: Es findet gerade eine Party statt und wenn ihr nicht mitmacht, dann findet sie ohne euch statt. Die Franzosen haben das verstanden, vor zwei Wochen wurde die erste Pipeline für Wasserstoff zwischen Barcelona und Marseille eingeweiht. Österreich kann das auch schaffen, allerdings haben wir nicht mehr viel Zeit, die Umstellungen erfolgen jetzt. Die entsprechenden Codes müssen gemacht werden, die entsprechenden Pakete werden im EU-Parlament verabschiedet. Nicht nur das "Fit for 55"- Paket, sondern auch das "Dekarbonisierte Gase und Wasserstoff"-Paket.
Ist dieses Teil der Wasserstoffstrategie der EU-Kommission, die vor zwei Jahren beschlossen wurde?
Im Dezember vor einem Jahr wurde das Paket vorgestellt. Die Wasserstoffstrategie hatte ihre Ziele, diese Pakete wurden immer wieder überarbeitet. Dass es die EU-Kommission "Wasserstoffpaket" nennt, damit haben wir bei Hydrogen Europe nicht gerechnet. Aber sie haben gesagt, es gibt auf dem Gasmarkt nicht mehr viel zu regulieren, wir richten uns komplett auf den neuen Wasserstoffmarkt aus. Das sind die großen Weichenstellungen, die man sieht und sich fragt: Wo sind eigentlich meine Freunde aus Wien?
In Europa wird es nicht genügend Wasserstoff geben, man geht also neue Abhängigkeiten ein. Wie verhindert Europa es, wieder erpressbar zu sein?
Indem man aus der Vergangenheit lernt. Wir als Europäer sind naiv und reden zu viel - auch mit uns selbst und sehen nicht, was um uns herum in der Welt passiert. Jetzt können wir uns aussuchen, von wem wir uns abhängig machen, und wenn wir schlau sind, dann machen wir uns von vielen abhängig, damit wir von keinem abhängig sind. Die Diversifizierung der Partnerschaft bedeutet Resilienz. Wir dürfen jetzt nicht nur auf Saudi-Arabien oder nur Marokko setzen, sondern auch auf Namibia oder Großbritannien und Norwegen. Plus, im Norden Europas haben wir ein dichtes Netz von Pipelines, das sich leicht umrüsten lässt.
Wo befindet sich Europa global gesehen in der Herstellung von Wasserstoff?
Wir waren so ziemlich die Ersten, die sich der Welt als großer, kontinentaler Markt als Partner angeboten haben. Ja, Japan und Korea hatten das auch getan, aber sie sind auf ganz wenige Anwendungen von Wasserstoff ausgerichtet - in der Mobilität und in der Wärme beispielsweise. In diesen erwähnten Ländern ist der Energiebereich nicht so wichtig wie bei uns. Wir Europäer sind der komplexeste Markt, der sowohl produziert als auch importiert. Entsprechend waren wir bei unseren Industrien bei den Elektrolyseuren ordentlich aufgestellt. Bis letztes Jahr. 2022 sind die Chinesen an uns vorbeigezogen, allerdings nur beim Volumen, nicht bei der Qualität. Trotzdem, das Volumen ist in China so groß, dass wir sagen können: Der Wasserstoffmarkt wird sich wahnsinnig entwickeln und wir müssen aufpassen, dass wir nicht unter die Räder geraten. Das passiert gerade.
Die EU-Kommission hat vergangene Woche CO2-Zölle beschlossen, die auch auf Wasserstoffimporte gelten sollen. Eine Bremse für den Hoffnungsträger?
Insbesondere grüner Wasserstoff aber auch Wasserstoff mit niedrigem CO2-Gehalt gelten ganz im Gegenteil als Hoffnungsträger für die Umsetzung der CO2-Grenzziele. Mit dekarbonisiertem Wasserstoff können viele importierte Produkte einen CO2-freien Fußabdruck realisieren, etwa Düngemittel und Stahl. Synthetische Kraftstoffe können mithilfe von erneuerbarem Wasserstoff überhaupt erst hergestellt werden und zollfrei eingeführt werden. Der CO2-Gehalt kann mit dem Einsatz von Wasserstoff in verschiedene Industrien erheblich reduziert werden. CO2 ist die neue Währung im Welthandel.
Zur Person
Einer Umfrage des Gasnetzbetreibers AGGM zufolge schätzen die energieintensiven Unternehmen in Österreich ihren Wasserstoffbedarf bis 2030 auf 12 Terawattstunden (TWh) und bis 2040 auf 47 TWh. Auch im Chemiedreieck im benachbarten Bayern sei der Bedarf enorm, heißt es. Die Verbund-Tochter Gas Connect Austria (GCA) hat in Brüssel zwei Pipeline-Projekte für Wasserstoff eingereicht. Dabei geht es um Parallelstränge der West-Austria-Gasleistung (WAG) und der Penta-West, die ab 2030 Wasserstoff importieren soll.