Ergebnis einer Straßenumfrage: Nur zwei von zehn können die Hauptstadt Thüringens nennen. Dabei ist Erfurt nicht nur eine wichtige, sondern auch eine sehenswerte Stadt.
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Der unglückliche Skifahrer Dieter Althaus wird sich bald wieder mit einem der schönsten Amtssitze aller deutschen Ministerpräsidenten trösten können: Dem Eckzimmer im ersten Stock des Ostflügels der "Kurmainzischen Statthalterei" in der Altstadt von Erfurt. Zumindest bis zur Landtagswahl Ende August. Umgeben von flachen Rundbogen, griechischen Säulen und üppiger Groteskenmalerei lässt sich ein stressiger Politikeralltag ertragen.
Der Ostflügel ist aus mehreren Häusern zusammengefügt, die ab 1699 im Stil der Renaissance entstanden. Während der Barockzeit wuchs die Statthalterei weiter und war sogar zwei Wochen lang "Palais Impérial" (kaiserlicher Palast), als Napoleon hier während des Erfurter Fürstenkongresses (1808) domizilierte. Hier hat er auch den Dichterfürsten Goethe getroffen, den er mit den bewundernden Worten "Vous êtes un homme" begrüßte.
Heute ist der Prachtbau der Sitz der thüringischen Landesregierung und ein Kernstück der Erfurter Altstadt, ein an Schönheiten reiches Quartier. Erfurt selbst betrachtet sich als "den Mittelpunkt Deutschlands". Jedenfalls ist es mit seinen 200.000 Einwohnern die "zentralste Großstadt", weil es nur ca. 50 km südöstlich des Schwerpunktes der Bundesrepublik liegt. Wer in der inneren Altstadt mit ihren über zwanzig gotischen Pfarrkirchen und den zahllosen Fachwerk-, Bürger- und Handelshäusern flaniert, fühlt sich ins Mittelalter versetzt.
Was man sonst nur in Italien bewundern kann, ist die beiderseits mit Häusern dicht bebaute Krämerbrücke, die 1325 als steinerne Bogenbrücke über einem Seitenarm der Gera errichtet wurde. Links und rechts wird die Brücke eingesäumt von 32 zum Teil bewohnten Fachwerkhäusern, in denen Kunsthandwerk, Silberschmuck und Antiquitäten angeboten werden.
Das einzigartige Wahrzeichen des 1260-jährigen Erfurts sind die zwei unmittelbar nebeneinander stehenden Kirchen, der wuchtige und doch elegante gotische Dom "Beatae Mariae Virginis" und die gleichfalls gotische Severikirche, in der die Gebeine des Heiligen Severus ruhen, des Schutzpatrons der Polizisten. Die Glocke des Marien-Domes, die Gloriosa, ist die größte freischwingende mittelalterliche Glocke Europas und zeugt von der Kunst der Erfurter Glockengießer des 15. Jahrhunderts.
Der überwältigende Eindruck dieses Ensembles mit seinen spitzen, hochstrebenden Türmen wird noch gesteigert durch seine Lage auf dem Domberg, auf den eine breite Treppenanlage mit 70 Stufen hinaufführt. Eine ideale Theaterkulisse, die auch seit 1994 jährlich von den "Domstufen-Festspielen" genutzt wird. Hier waren unter anderem die Carmina Burana, Jedermann, Der fliegende Holländer und sogar das Musical Jesus Christ Superstar zu sehen.
Erfurt wird auch oft als "Blumenstadt" bezeichnet. Denn die Stadt galt besonders im 19. Jahrhundert als Zentrum des Gartenbaus. Hier entstanden weltbekannte Gartenbauunternehmen, die Pflanzen aller Art züchteten und ihre Sämereien in die ganze Welt verkauften.
Mit dem "egapark" verfügt Erfurt über ein ganzjährig geöffnetes Gartenparadies auf einer Fläche von 160 Fußballfeldern. Hier erstreckt sich das größte ornamental bepflanzte Blumenbeet Europas.
Von 1480 an diente die Citadelle Cyriaksburg vierhundert Jahre lang dem Schutz der Erfurter Bürger. Heute beherbergt sie das Deutsche Gartenbaumuseum auf dem Gelände. Unabhängig von den Jahreszeiten bieten seine viertausend Exponate einen Überblick über die komplexe Beziehung zwischen Mensch und Natur.