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Linguist über falsche Sprachpolitik, Resignation und mutige Lehrer.
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Wien. Das Netzwerk SprachenRechte, eine Expertenplattform, die sich für den Schutz und die Förderung der sprachlichen Identität eines jeden Einzelnen engagiert, feiert am Freitag sein zehnjähriges Bestehen. Die "Wiener Zeitung" sprach mit einem der Proponenten dieser Experten-Plattform, dem Linguisten Hans-Jürgen Krumm, über sprachliche Identität und die Fehler der Fremdenpolitik.
"Wiener Zeitung": Das Netzwerk SprachenRechte ist zehn Jahre alt. Was konnten Sie in diesen zehn Jahren bewirken?Hans-Jürgen Krumm: Weniger als erwünscht. Aber ich denke schon, dass es inzwischen eine gewisse Öffentlichkeit gibt, die sensibilisiert ist, was mit dem Fremdenrecht passiert. Immer, wenn eine Verschärfung kommt, hat es zumindest Aufschreie und deutliche Artikulationen gegeben. Das hat vielleicht Schlimmeres verhindert. Der Vorteil solch eines Netzwerkes ist auch, dass man sich gegenseitig aufrichtet, wenn man nach Stellungnahmen, die nicht Mainstream sind, beschimpft wird. Das war zum Beispiel der Fall, als es um die Schulreife ging, also ein Kind nur schulreif ist, wenn es Deutsch kann.
Die Politik setzt beim Thema Integration ja ganz stark bei Deutschkenntnissen, also Sprache an. Das Netzwerk thematisiert hier einen anderen Begriff: den der Identität.
Unsere Gesetzgebung kümmert sich im Grunde nicht um die Menschen, die kommen, sondern errichtet Barrieren. Und dabei fokussiert sie in den vergangenen Jahren nur mehr auf das Thema Sprache. Und dann geht es nur verkürzt darum, wie viel oder wie wenig Deutsch können sie, aber nicht, wie vieles bringen sie an Sprache mit. Bei der Frage, was den Menschen ausmacht, mache ich mit Studenten folgendes Experiment: Zwei setzen sich immer gegenüber und jeder spricht den Namen des anderen falsch aus. Dann melden sich jene mit fremden Namen, die sagen, das kennen wir. Und dann sagen sie, das stört sie, aber im Grunde haben sie resigniert. Sprache und Identität gehören eben zusammen.
Was macht es mit Menschen, wenn sie von ihrer Sprache abgeschnitten oder mit dieser Sprache nicht mehr wahrgenommen werden?
Schematisch gibt es hier drei Lösungsansätze. Anpassung, oft unter Schmerzen. Der zweite ist Subkultur - man macht sich sein Ghetto und will sich nicht berühren lassen. Der dritte ist totale Resignation, so nach dem Motto, ich spiel halt mit. Es gibt sicher unter den Migranten auch solche, die nicht nur ihr Land, sondern auch ihre Sprache hinter sich lassen. Das ist aber eher die kleinere Zahl.
Betrifft der Verlust von Sprache eher die erste Zuwanderergeneration oder deren Kinder ?
Ich finde es immer gut, wenn man eine Parallele zieht zu den Österreichern, die ausgewandert sind. Die erste Generation hat ihre Muttersprache gesprochen, Schulen, Vereine aufgebaut - ganze Städte sahen europäisch aus. Die zweite Generation war zweisprachig. Aber in der dritten Generation ist die deutsche Sprache mehr oder weniger verschwunden.
Wie ist es heute in Österreich?
Bei uns ist es umgekehrt. Wir sagen, zuerst musst du die Sprache können. Die Menschen haben im Grunde gar keine Zeit, sich zu akklimatisieren - denn akklimatisieren kann ich mich nur in der Sprache, die ich kann. Um sich im Deutschen wohlzufühlen, brauche ich mehrere Jahre. Soll ich mich in der Zwischenzeit nicht wohlfühlen? Bis vor 2002 hat man den Menschen ihre Sprache gelassen und sich nicht um ihre Deutsch-Kenntnisse gekümmert. Diese Menschen sind relativ gut zurechtgekommen. Seit 2002 müssen sie Deutsch sprechen und ihre Muttersprachen verschwinden.
Wie nimmt das die zweite oder die dritte Migrantengeneration auf?
Untersuchungen zeigen, dass diese Migranten Deutsch oft schlechter können als ihre Eltern. Ich denke, das hängt mit Sprachkonflikten und ungeklärten Identitäten zusammen. Migranten fallen überproportional oft auf mit psychischen Erkrankungen, hohen Anteilen an Sonderschulen. Ich bin mir sicher, dass diese ungeklärte Situation - wer bin ich eigentlich? - einen Anteil daran hat. Der zweite Anteil ist dann immer ein sozialer. Man sollte das aber nicht unterschätzen. Ich habe Lehrkräfte gebeten, Texte schreiben zu lassen zum Thema: Wo ist meine Heimat? Und oft kommen Antworten wie, das weiß ich nicht genau. Und es gibt das Gefühl, ich weiß nicht genau, welche Sprache erlaubt ist oder warum ist die Sprache, die ich mit der Mama oder Oma spreche, nicht erlaubt.
Versuchen die Schulen diesem Gefühl irgendwie entgegenzuwirken?
Zum Glück gibt es in den Kindergärten und Schulen unterhalb der offiziellen Ebene eine sehr gute Entwicklung in die mehrsprachige Richtung. Die ist nur oben noch nicht angekommen. Und ich erlebe das in den letzten Jahren ein bisschen als gegeneinander und aneinander vorbei. Die Realität an Schulen, wo sich die Schulleitung und die Lehrer etwas trauen, sieht gut aus.
Deutsch zuerst ist aber immer noch die gängige Doktrin. Mit welchen Folgen?
Es gibt die These, dass ich desto besser werde, je mehr Zeit ich mit einer Sprache zubringe. Das Problem ist, wir haben schon ein, zwei Sprachen im Kopf. Und wir können unsere Sprachen im Hirn nicht abschalten, die stecken nicht in einem verschließbaren Kasten. Wenn uns der Sprachunterricht in der Schule nicht hilft, die neue Sprache mit den alten zu koordinieren, dann funktioniert es nicht. Das heißt, der deutschen Sprache geht es in vielen Teilen schlecht, wenn man keinen Bedacht auf vorhandene Sprachen nimmt. Und den anderen Sprachen geht es auch nicht gut, die werden nicht gefestigt. Da gibt es dann so Begriffe wie doppelseitige Halbsprachigkeit, da muss man aber vorsichtig sein.
Umgekehrt hat es Vorteile, wenn es Kinder gewohnt sind, in mehreren Sprachen zu arbeiten. Für das Gehirn ist das ein ungeheures Training. Es gibt genügend Anhaltspunkte, dass Kinder, die mit zwei oder mehr Sprachen aufwachsen, kognitiv schneller weiterkommen als andere. Was mit den Sprachen passiert, wenn man sie nicht fördert? Sie verschwinden, verarmen. Und das Gehirn leidet, weil es seine Kapazitäten nicht nutzt.