Martin Schulz stellt sich zur Wiederwahl als SPD-Chef, er muss beim Parteitag der Basis seinen Schlingerkurs erklären. Die CSU bestimmt wohl, wer Spitzenkandidat für die Landtagswahl wird.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Berlin/München/Wien. Dem demonstrativen Schweigen folgte die Deutung - oder Umdeutung. Erst drang kein Wort über das abendliche Gespräch von Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz mit dem deutschen Präsidenten Frank-Walter Steinmeier nach draußen. Tags darauf bemühten sich Vertreter der konservativen Union, die Fortsetzung von Schwarz-Rot nur mehr als Frage der Zeit darzustellen. "Die Einlaufkurve für die SPD ist groß", sagte der Vorsitzende der Thüringer CDU, Mike Mohring, nach einer Telefonkonferenz des Parteivorstandes am Freitag. Bei dieser hatte Merkel in ihrer Rolle als CDU-Chefin über das Gespräch mit den anderen Parteivorsitzenden und Steinmeier berichtet. Mohring rechnet mit einer Regierung bis März 2018 - das wäre ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl. Das zeigt, die CDU richtet sich auf einen langen Weg ein, bis die Koalition tatsächlich steht.
Keine 100 Prozent mehr
Bei den Sozialdemokraten bremst Parteichef Martin Schulz. "Es gibt keinen Automatismus für eine große Koalition", sagte er am Freitag. Schulz ringt um einen für ihn gesichtswahrenden Kurswechsel. Schließlich hatte er sich mit seiner Ansage, die SPD scheue keine Neuwahlen, voreilig festgelegt - und damit den Widerwillen von Präsident Steinmeier gegenüber einem erneuten Urnengang völlig unterschätzt. "Wir haben viele Optionen", bleibt der SPD-Vorsitzende nun diffus. Er wolle dem Parteivorstand am Montag vorschlagen, über alle Szenarien zu sprechen; also Unterstützung einer Minderheitsregierung, Wiederauflage der großen Koalition oder eben doch Neuwahlen.
Ein Beschluss des SPD-Vorstandes ist in der Praxis aber nicht viel wert. Schließlich gibt es einen nicht einmal zwei Wochen alten, laut dem die SPD für Schwarz-Rot nicht zur Verfügung steht. Allerdings gehört Fraktionschefin Angela Nahles nicht dem Parteivorstand an. Sie ist die wichtigste Person im parlamentarischen Alltag und hat bereits frühzeitig die Option einer großen Koalition offengelassen.
Gerüchten zufolge gibt es bereits eine Beschlussvorlage für den Parteivorstand. Demnach solle sich die SPD zu ergebnisoffenen Gesprächen mit CDU/CSU bereit erklären. Diese Erklärung dürfte der Vorstand der Basis beim Parteitag präsentieren, der von Donnerstag bis Samstag kommender Woche stattfindet. Bereits zu Beginn steht die Wahl des Parteichefs auf dem Programm. 100 Prozent, wie im März, sind für Martin Schulz nun illusorisch. Um ein Debakel zu vermeiden, wird nun angeblich sogar das Parteitagsprogramm geändert. Wie groß die Unzufriedenheit unter den Genossen tatsächlich ist, lässt sich allerdings kaum abschätzen: "Wir haben in unserer Partei sehr, sehr unterschiedliche Meinungen, von massiver Ablehnung der großen Koalition, aber auch Skepsis vor Neuwahlen und vielen Befürwortern von dritten Möglichkeiten", sagt die stellvertretende Vorsitzende Manuela Schwesig.
Schulz schlägt derweil inhaltliche Pflöcke ein, um einer neuen Regierung eine deutliche sozialdemokratische Note zu geben. Innenpolitisch bedeutet das eine Neuaufstellung bei den Krankenkassen und beim Pflegesystem. In der Europapolitik würden laut "Spiegel" die Vorschläge von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron "ein Kernelement bei jeder Verhandlung mit der SPD sein". Dazu zählen ein Eurozonen-Budget, aus dem Zukunftsinvestitionen und Nothilfe für Länder in Wirtschaftskrisen finanziert werden sollen, und ein europäischer Wirtschafts- und Finanzminister. Kanzlerin Merkel äußert sich zu diesen Fragen seit Monaten gesprächsbereit, legt sich aber nicht fest.
Erstmals Kampfabstimmung?
Ablehnend reagiert die Schwesterpartei CSU. "Was Macrons finanzpolitische Vorstellungen angeht, bin ich sehr skeptisch. Es läuft letztendlich auf mehr Transfer hinaus", sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann im September. Ab Montag könnte er designierter Spitzenkandidat der CSU für die Landtagswahl im Herbst 2018 sein. Parteichef und Ministerpräsident Horst Seehofer muss sich vor Präsidium und Landtagsfraktion erklären; Letztere will ein Votum über Seehofers Nachfolger durchführen. Dessen Intimus Herrmann hat seine Kandidatur nicht öffentlich erklärt, aber auch nicht dementiert. Es läuft auf eine Kampfabstimmung zwischen ihm und Seehofers Erzfeind, Finanzminister Markus Söder, hinaus. Das wäre ein Novum in der CSU-Geschichte, bisher einigten sich die Gremien stets vorzeitig auf eine Person.
Die Vorgänge in Bayern werden auch in Berlin genau verfolgt, schließlich wäre die CSU Teil einer schwarz-roten Regierung. Sie pflegt dennoch Alleingänge, wie zuletzt bei den gescheiterten Jamaika-Sondierungsgesprächen. Wenn die Frage des Spitzenkandidaten geklärt ist, bleibt noch immer offen, wer künftiger CSU-Parteichef wird. Und damit die Linie der Bayern im Bund vorgibt.