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Der politische Schock nach dem EU-Austritt Großbritanniens hat den ökonomischen überstrahlt. Normalerweise genügt ein derartiges Blutbad an den Finanzmärkten, um weltweit Panik zu erzeugen. Am Freitag war es bloß Beiwerk rund um ein politisches Desaster, ausgelöst vom unfähigen Premier David Cameron. Er hat ganz nebenbei vermutlich auch das Vereinigte Königreich zerstört - denn Schottland und Nordirland wollen die EU nicht verlassen.
Brüssel wird aber in den kommenden Monaten nicht nur bittere Scheidungsverhandlungen mit London zu führen haben. Europas Institutionen müssen sich einer viel tiefer gehenden Debatte stellen: Wofür steht die Europäische Union?
Und da wird der EU nicht viel anderes übrig bleiben, als ihre Fundamente in Frage zu stellen. Eines dieser Fundamente sind die sogenannten Maastricht-Kriterien. Das sind Obergrenzen für Budgets, Inflation, Staatsverschuldung. Alles schöne, Stabilität verheißende Werte, die Investoren Vertrauen einflößen sollen.
Doch das reicht nicht mehr, die Welt hat sich verändert. Europas Bürger wollen von der EU wissen, wie soziale und technologische Herausforderungen zu meistern sind. Kanzler Christian Kern hat recht, wenn er Gerechtigkeit nennt. Wenn Großkonzerne Milliardengewinne steuerschonend herumschieben können, während die Jugendarbeitslosigkeit in den meisten Ländern zwischen 15 und 25 Prozent liegt, dann läuft etwas ziemlich falsch. Es wird zweifellos auch notwendig sein, das Gefüge zu verändern - Ulrike Guerots Idee einer Europäischen Republik statt eines Zentralstaates hat dabei viel Charme.
Daneben ist es aber dringend geboten, die Maastricht-Kriterien neu zu definieren. Es wäre gesellschaftlich sinnvoller, eine Mindestzahl für die Gründung neuer Unternehmen zu definieren, anstatt die Staatsverschuldung von 80 auf 78 Prozent zu reduzieren. Europa braucht neue, sozial- und wirtschaftspolitische Kriterien, deren Missachtung Probleme bereitet.
Das ist vielleicht undenkbar für eine ideenlose EU-Kommission, würde aber den Bürgern das Gefühl geben, dass dieses Gebilde für sie da ist und nicht nur ein anonymer Binnenmarkt.
Wenn Europa zu diesem Schritt nicht imstande ist, obsiegen Rechtspopulisten und Herren wie Wladimir Putin und Donald Trump, denen die Zerstörung Europas Profit verspricht. Diesen Profit würden Europas Bürger teuer bezahlen.