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Woher kam das Giftgas?

Von WZ-Korrespondentin Birigit Svensson

Politik

Über Verwicklung der syrischen Luftwaffe herrscht Einigkeit. Die übrigen Umstände des Angriffs in Syrien sind umstritten.


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Bagdad/Wien. Dieses Mal sind sich fast alle einig: Es war ein Luftangriff, der am Dienstag die Katastrophe in Khan Scheikhoun in der syrischen Provinz Idlib auslöste. Es war Sarin und nicht Chlorgas, das mittlerweile über 70 Menschen tötete und fast 200 schwer verletzte. Und es war die syrische Luftwaffe, die diesen Angriff flog. Selbst die russische Führung geht inzwischen von einer Beteiligung der syrischen Armee an der folgenschweren Attacke aus.

Über die Details des Angriffs herrschen allerdings weiter Unklarheiten. So ist umstritten, ob das Lager, das angeblich von Rebellen in dem Ort genutzt wurde, absichtlich oder versehentlich bombardiert wurde, ob dort tatsächlich Sarin gelagert war und woher das Gas stammt.

Die syrische Armee weist jegliche Verantwortung "kategorisch" zurück. Sie habe niemals Giftgas eingesetzt und werde dies auch künftig nicht tun. Vielmehr seien "terroristische Gruppen" verantwortlich. Die Giftstoffe sollen nach syrischen Angaben von "Kämpfern aus dem Irak" stammen. Dort hält man sich mit Reaktionen dazu bedeckt, denn nicht wenige Mitglieder der irakischen Schiitenmilizen unterstützen den syrischen Diktator Bashar al-Assad. Auf der anderen Seite haben sich sunnitische Iraker den islamistischen Terrorgruppen Al Kaida, Al Nusra oder sogar dem IS angeschlossen.

Woher das Sarin also wirklich stammt, wird wohl nie vollends aufgeklärt werden. Saddam Hussein besaß es, hat es aber angeblich nach dem Kuwait-Krieg in den 1990er Jahren unter UN-Aufsicht vernichten lassen. Bashar al-Assad besaß es, will es aber im Zuge des Abkommens mit Russland und den USA ebenfalls zerstört haben. Im August 2014 teilte das Pentagon mit, dass 600 Tonnen Chemikalien zur Herstellung des Giftgases Sarin und von Senfgas "auf offener See" neutralisiert wurden. Damit seien alle von Syrien deklarierten Bestände zur Produktion von Chemiewaffen vollständig vernichtet. US-Präsident Barack Obama sprach damals von einem Meilenstein im Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Doch wurde tatsächlich alles zerstört?

"Kriegsverbrechen"

Eine weitere Frage wirft der Ort des Angriffs auf. Khan Scheikhoun wird zwar von oppositionellen Rebellen kontrolliert, die Al Kaida und Al Nusra nahestehen. Bei dem seit dem Ende des Infernos von Aleppo geltenden Waffenstillstand, der von Russland und der Türkei ausgehandelt wurde und von einem Großteil der Rebellengruppen mitgetragen wird, sind diese islamistischen Terrorgruppen ausgenommen. Angriffe auf sie sind daher gemäß den Bedingungen der Feuerpause erlaubt. Damit hat die syrische Luftwaffe de facto nicht gegen die Abmachung verstoßen. Angedrohte Sanktionen werden deshalb schwer durchsetzbar. Der Giftgasangriff hatte am Dienstag international für Entsetzen gesorgt, zumal er einen Tag vor der Geberkonferenz in Brüssel erfolgte. Konspirationstheorien, die im Nahen und Mittleren Osten schnell gesponnen werden, sprachen gleich von einer gezielten Aktion, die das Bewusstsein für die Lage in Syrien wieder in den Blick der Weltöffentlichkeit rücken sollte.

Entsprechende Reaktionen verstärken die Theorien. So forderte UN-Generalsekretär Antonio Guterres die Verfolgung von Kriegsverbrechen im Syrien-Konflikt. Die ständigen Sicherheitsratsmitglieder USA, Großbritannien und Frankreich wollen bei der Sitzung in New York einen Resolutionsentwurf zur Abstimmung vorlegen, in dem der Angriff in der Stadt Khan Scheikhoun verurteilt und eine baldige Untersuchung verlangt wird. Frankreichs Präsident François Hollande rief die internationale Gemeinschaft zu einer harten Reaktion zu dem "Kriegsverbrechen" auf. Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel will "die Verantwortlichen vor ein internationales Gericht" bringen. Der britische Außenminister Boris Johnson meinte, "alle Beweise" deuteten darauf hin, "dass dies das Assad-Regime war".

Die USA drohen unterdessen mit einseitigen Aktionen gedroht, sollte sich der UN-Sicherheitsrat nicht auf eine gemeinsame Reaktion verständigen. "Wenn die Vereinten Nationen fortlaufend ihre Pflicht zum kollektiven Handeln verletzen, dann sind wir gezwungen, unsere eigenen Maßnahmen zu ergreifen", sagte die UN-Botschafterin der USA, Nikki Haley, am Dienstag. Zuvor hatte Russland seine Ablehnung einer auch von den USA eingebrachten Resolution bekundet.

Die Syrien-Konferenz soll Hilfsversprechen für Flüchtlinge und die Nachbarländer des Bürgerkriegslandes bekräftigen. Auch geht es um den Wiederaufbau des Landes nach dem Krieg. Das Treffen folgt auf die Londoner Geberkonferenz 2016, bei der die internationale Gemeinschaft über mehrere Jahre zehn Milliarden Euro für die Syrien-Hilfe zugesagt hatte. Die UNO hatte im Vorfeld kritisiert, dass in diesem Jahr noch kaum Gelder geflossen sind und damit massive Engpässe bei der Versorgung von rund fünf Millionen Flüchtlingen in den Nachbarländern Syriens drohen. Organisiert wird die Konferenz von EU, UN, Deutschland, Großbritannien, Katar, Kuwait und Norwegen.

Milliarde aus Berlin

Deutschland stellt 1,169 Milliarden Euro für die Opfer des Bürgerkriegs zur Verfügung. Das Geld solle zusätzlich zu den 2,3 Milliarden Euro fließen, die bis Ende 2018 bei der Geberkonferenz in London zugesagt worden waren, gab Außenminister Sigmar Gabriel bekannt. Solange es keinen Regimewechsel in Syrien gebe, dürfe das Geld allerdings nicht für den Wiederaufbau eingesetzt werden. Bis wann die zugesagte Summe ausgegeben sein soll, blieb zunächst unklar. Die UNHCR hatte zu der Syrien-Konferenz deutlich mehr Engagement der internationalen Gemeinschaft für die vor dem Bürgerkrieg geflohenen Menschen gefordert. So sind 2017 erst sechs Prozent der benötigten rund 4,6 Milliarden Dollar von den Gebern ausgezahlt worden.

www.wienerzeitung.at/dossiers/
syrien_ein_zerstoertes_land